Trail of Cthulhu (im Weiteren: ToC) ist vor ein paar Jahren angetreten, ein weiteres Cthulhu-Spielsystem neben Chaosiums Langläufer Call of Cthulhu zu etablieren. Inzwischen gibt es umfangreiches Material für Spieler von diversen Autoren. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um uns das Basisbuch noch einmal genauer anzuschauen.
Erscheinungsbild
Farbliche Akzente gibt es kaum – gelbe Zierleisten, Sepia- und Grautöne in den Illustrationen. Alle paar Seiten findet sich eine Illustration, die meisten sind stimmungsvoll. Manche Bilder sind verwaschen und undeutlich. Dies ist wohl eine Imitation der Qualität unscharfer Schwarzweißaufnahmen.
Die verwendete Schriftart ist zwar leserlich, aber nicht schön. Seiten werden in mehrere Spalten gelayoutet, der Textfluss ist nicht an die Spaltenbreite angepasst. Relativ oft werden weiterführende Informationen mit Kästen eingeschoben. Viele Unterkapitel werden mit einem stimmigen Zitat aus Lovecrafts Literatur überschrieben.
Die aufklappbaren Bookmarks sind nicht fehlerfrei. Mehrere Verweise führen an die falschen Stellen im Buch.
Die rezensierte Version ist das Kauf-PDF. Es wurden seit 2009 keine Änderungen mehr am PDF vorgenommen, weder auf DTRPG noch auch Pelgranes Webseite.
Die Spielwelt
Die Autoren bieten eine Spielwelt an – die historische Epoche der Dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Aber ich muss gleich sagen, dass die Module, die ich besitze, breit in der Zeit gestreut sind. Die Dreißiger können als Hintergrund beim Erzeugen eigener Geschichten dienen, aber generell eignen sich die meisten Epochen. Immerhin 22 Seiten werden dieser Dekade gewidmet, mit Anknüpfungspunkten für Mythosgeschichten.
Viel wichtiger für den Spielleiter sind jedoch die Rassen, fremdartigen Wesen und Quasi-Götter. Der ihnen gewidmete Abschnitt nimmt 84 Seiten ein. Am besten gefiel mir, dass für die mächtigsten Wesen mehrere Beschreibungen und Erklärungen geboten werden. Und diese widersprechen sich zum Teil! Dadurch lassen sich auch nach oftmaligem Spielen die Erwartungen der Spieler erschüttern.
Die eigentliche Inspiration sind natürlich Lovecrafts Geschichten und die anderer Autoren, die sein Material als Grundlage gesehen haben. Auch Chaosiums Veröffentlichungen können hier vom Inhalt her gut weiterverwertet werden. Damit schöpft man aus einem überreichen Fundus.
Die Regeln
In ToC kommt Pelgranes eigene Engine, GUMSHOE, zum Einsatz. Das Autoren des Regelsystems setzen voraus, dass das Entscheidende an einem Detektivspiel nicht das Finden der Hinweise ist, sondern sie zu interpretieren und zu einem Gesamtbild zu fügen. Die Geschichte soll nicht wegen einiger Fehlwürfe auf Grund laufen.
[box]Beispiel:
Die Charaktere haben einen Tatort erreicht, und tatsächlich ausreichend Zeit, ihn zu durchsuchen. Ein Charakter hat die Fertigkeit Evidence Collection. Der Spieler entscheidet sich, sein Fachwissen einzusetzen. Der Spielleiter erklärt ihr oder ihm, was er gefunden hat.[/box]
Die Autoren erklären als zugrundeliegende Motivation, dass es weder besonders spaßig, noch gutes Rollenspiel ist („Darf ich nochmal würfeln?“), den zentralen Hinweis eines Abenteuers zu verpassen. Daher muss auf die Ermittlerfähigkeiten für den eher erzählerisch geprägten Teil des Spiels nicht gewürfelt werden.
In der Spielpraxis zeigt sich, dass diese Variante gut funktioniert. Eine breitgefächerte Palette an Ermittlerfähigkeiten erlaubt es, jeden Mitspieler etwas zur Lösung beitragen zu lassen. Es wird empfohlen, die verschiedenen Spezialisierungen über die Gruppe zu verteilen. So gibt es viele Wissensgebiete über Sprachen, Architektur, Pharmazie bis hin zur Kenntnis eines Handwerks. Auch soziale Fertigkeiten wie gezieltes Umhören oder gutes Zureden werden so gehandhabt.
Ganz ohne Würfel ist es dann doch nicht getan. Ein sechsseitiger Würfel genügt, um alle im Spiel verlangten Proben abzulegen. Bei jedem Wurf auf General Abilities gilt das Prinzip, eine vom Spielleiter vorgegebene Zahl mindestens zu erreichen.
Jeder Charakter hat einen oder mehrere Pools an Punkten in verschiedenen General Abilities. Diese Punkte kann man später ausgeben, um die Schwierigkeit von Proben zu senken. Manche Würfe (Schwierigkeit 7 oder höher) werden so erst schaffbar. Das Verwalten dieser Pools stellt dann auch eine taktische Variante des Spiels dar – mehr Risiko wagen und Punkte sparen, oder mehr ausgeben und auf Nummer Sicher gehen?
[box]Beispiel:
Ein Ermittler will aus einer Grube herausklettern. Der Spielleiter legt fest, dass die Grubenwand steil und etwas glatt ist – Schwierigkeit 5. Die passende Eigenschaft wäre Athletics und der Spieler hat dort einen Pool von 3 Punkten. Der Spieler gibt einen Punkt aus und hofft nun mit einer Chance von 50% (4-6 auf W6) aus dem Loch zu kommen.[/box]
Punkte auszugeben senkt übrigens nicht die Fähigkeiten einer Figur. Der Charakter weiß nicht plötzlich weniger über die Reparatur von Elektrogeräten. Die Muskeln sind auch nicht geschrumpft – aber vielleicht erschöpft. Aber der Spielanteil dieses Spielers sinkt, und somit die Höhepunkte, die er setzen kann. Jemand, der alle Punkte aus seinem Driving-Pool in einer Verfolgungsszene verballert hat, muss danach kürzer treten, oder sich auf sein Würfelglück verlassen. Das Gleiche gilt für Charaktere, die nie Punkte in diese Fertigkeit investiert haben.
Zusätzlich zu gewöhnlichen Proben gibt es noch Wettbewerbe und den Kampf. Bei Wettbewerben verliert der, der zuerst patzt. Damit werden z.B. Verfolgungsjagden modelliert.
[box]Beispiel:
Der Ermittler rennt nun vor einem hinterher kriechenden Monster davon. Der Boden ist glitschig, was den menschlichen Charakter benachteiligt – Schwierigkeit 4. Das Monster hat keine Beine und gleitet dahin – Schwierigkeit 3. Der Davonlaufende beginnt mit dem ersten Wurf und gibt einen Punkt aus seinem Fleeing-Pool aus – Schwierigkeit 3. Er würfelt eine 5 und setzt sich ab. Das Monster würfelt eine 3 und bleibt dran. So geht es weiter, bis einer der beiden einen Wurf versiebt. [/box]
Beim Kampf muss die Schwierigkeit erreicht oder überwürfelt werden, um zu treffen. Kämpfe gliedern sich wie Wettbewerbe in Runden. Der Unterschied ist der Schadenswurf nach jedem Erfolg.
[box]Beispiel:
Der Ermittler konnte sich nicht absetzen und feuert einen Revolver auf das auf ihn zu gleitende Monster. Zielwert ist 4 (menschengross, kurze Entfernung), und er gibt einen Punkt Firearms aus. Bei einem Wert von 3 oder höher darf er einen W6 Schaden gegen das Monster werfen.[/box]
Mit ein paar Ausführungen zu Proben- und Schadenszuschlägen/-abzügen ist das Kampfssystem auch bereits vollständig beschrieben. Eine Battlemap oder andere Finessen sucht man hier vergebens. Gegenspieler sind meist mit sehr wenigen Werten umschrieben.
Die Basisregeln für das Erarbeiten von Hinweisen, für Proben, Wettbewerbe und Kämpfe sind auf zehn Seiten verdichtet. Das führt übrigens dazu, dass viele Abenteuer zusätzliche Regeln für nicht beschriebene Situationen einführen. Die Regeln für Schock, Wahnsinn und fortdauernde geistige Umnachtung nehmen im Vergleich auch noch mal zehn Seiten ein.
Ein paar Beispiele mehr hätten außerdem sehr zum Verständnis beigetragen. Es fehlt ein Beispiel zur Durchführung eines Kampfes.
Charaktererschaffung
Ein Ermittler hat eine Motivation (Drive), einen Beruf (Occupation) und ihn definierende Fähigkeiten (Investigative Skills und General Skills). Motivation und Beruf kann man aus Listen wählen.
Die Regeln unterstützen zwei Spielmodi: Purist oder Pulp. Ein paar Fertigkeiten, sowie mehrere der Berufe und Motivationen sind nur im Pulp-Modus verfügbar. Charaktere dürfen dann gerne auch etwas (überlebens-)fähiger sein. Im Purist-Modus geht das Fortschreiten in den Wahnsinn schneller, und die Möglichkeit, den Charakter zu gestalten, ist stärker an der literarischen Vorlage orientiert.
[box]Ein Psychiater (Alienist) ist als Beruf sowohl im Pulp- als auch im Purist-Modus erlaubt, wird für echte Puristen nicht empfohlen. Ein Pulp-Psychiater darf Punkte in den General Skill Hypnose (Hypnosis) investieren, den es nur in diesem Modus gibt.[/box]
Die Motivation ist das entscheidende Moment für die Anlage eines Charakters in Bezug auf das eigene Rollenspiel. Wie kommt der Charakter in die Geschichte? Ist er vielleicht so neugierig, dass er immer in solche Ereignisse verwickelt wird? Oder lastet eine Art Fluch auf der Familie, der das Handeln jeder Generation sich immer wieder in ähnliche Bahnen bewegen lässt?
Dieser zentrale Antrieb ist wichtig, weil ihn auch der Spielleiter nutzen kann. Eine Cthulhu-Geschichte ist schließlich keine Übung in maximalem Selbsterhalt. Der SL kann den Spielern einen Handel anbieten – setzt sich der Charakter gemäß seiner Persönlichkeit in die Nesseln, gewinnt er etwas geistige Stabilität hinzu. Er verhält sich gewohnheitsgemäß, was sich irgendwie auch als beruhigend erweist. Widersetzt sich der Charakter den eigenen Anlagen, verliert er geistige Stabilität. Der Spielleiter kann dieses Mittel zum Vorantreiben der Story zu nutzen versuchen, aber die letztendliche Wahl zwischen Pest und Cholera verbleibt beim Spieler.
Die Fähigkeiten werden über ein Kaufpunktsystem ermittelt:
Jeder Spieler erhält eine Anzahl Punkte, mit denen er Ermittlerfertigkeiten erwerben kann. Je mehr Spieler, desto weniger Punkte pro Spieler. Fertigkeiten, die sich mit dem Beruf des Charakters überschneiden, sind verbilligt. Auch die Fertigkeiten, auf die man würfeln muss, werden so gekauft. Leider verkomplizieren zwei Zusatzregeln den Prozess hier.
Die Basiswerte für geistige (Sanity) und körperliche Gesundheit (Health), sowie für die Widerstandskraft gegen Schocks und Traumen (Stability), sind ebenfalls wie Fertigkeiten zu kaufen.
Es müssen noch drei Leitsätze oder Prinzipien (Pillars of Sanity) gewählt werden, an die sich der Charakter klammert, wenn es hart auf hart kommt. Das mag ein starker Glaube sein, das Vertrauen in die Erkenntnisfähigkeit des Menschen, oder ein unverbrüchlicher Optimismus. Werden diese primären Glaubenssätze aber durch die Ereignisse in Frage gestellt, kann dies auch zum rapiden geistigen Verfall der Spielfigur beitragen.
Für das Kampagnenspiel sind jetzt noch Personen zu benennen, die dem Charakter etwas bedeuten (Sources of Stability). Diese können dem Meister als Plot-Hook dienen und selbst in Gefahr geraten. Mit dem Kauf oder Zuteilen der Ausrüstung schließt die Charaktererschaffung ab.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht
Die meisten ToC-Abenteuer werden wohl als Oneshots angelegt sein. Tatsächlich eignen sich die meisten veröffentlichten Module hierfür. Manche der Autoren geben sogar Hinweise, ob man und wie man ihre Werke in einem Vier-Stunden-Slot auf einer Convention abhandelt.
Zwar gibt es ein Kapitel, wie man eine solche Geschichte selbst erstellt. So recht vollständig will mir diese Ansammlung von Tipps aber nicht erscheinen. Das Wichtigste an jedem ToC-Modul, die Hinweise (Clues), wird sehr lapidar in ein paar Sätzen abgehandelt. Wie man eine Story erstellt, die sich Schicht für Schicht entfaltet und einen der Lösung des Mysteriums näher bringt, bleibt unberührt.
Einige der Hinweise für Spielleiter sind kaum realisierbar. So raten die Autoren: „Avoid reading right from the scenario.“ Wer aber die angebotenen Kaufmodule kennt, weiß, dass dreißig oder vierzig Seiten Text keine Seltenheit sind. Der weitaus größte Teil davon entfällt auf Hinweistexte!
Zwar muss der deutschsprachige Spielleiter sowieso Übersetzungsarbeit leisten. Alle sich nur halbwegs einzuprägen erfordert sicherlich sehr viel mehr Vorbereitungsleistung, als ich für gewöhnlich investiere. Ich drucke mir eine Kopie des jeweiligen Moduls aus und streiche bereits gegebene Hinweise einfach durch.
Bis auf ein paar Tabellen gibt es nur sehr wenig nachzuschlagen. Ein paar Spielhilfen liste ich weiter unten.
Spielbarkeit aus Spielersicht
Meiner Erfahrung nach kommen die Spieler mit den Regeln relativ gut zurecht. Die Proben sind schnell erklärt und gehen ebenso schnell von der Hand. Wenn am Anfang der Charakterbogen durchgesprochen wird, können gleich die meisten Spielerfragen beantwortet werden.
Am Ende eines Abenteuers beherrschen die Spieler im Allgemeinen die Regeln für Ermittlungen und Kampf.
Preis-/Leistungsverhältnis
248 große Seiten Inhalt mit hohem Textanteil – da kann nicht jedes Regelwerk mithalten. Der Text dominiert das Buch, und es handelt sich generell um sehr gut geschriebenen Inhalt. Die über hundert Seiten zu Mythosmonstern und den Dreissigern eignen sich gut zum Querlesen auch für andere Systeme.
Spielbericht
Ich habe mich bis jetzt zweimal am Leiten von ToC versucht, beide Male waren es Kaufabenteuer: „The Rending Box“ (Klick) bei einer Runde im Verein und „Not So Quiet“ (Klick) auf der CatCon 36. Gespielt wurde jeweils mit den vorgenerierten Charakteren aus dem Modul selbst.
Meiner Erfahrung nach hatten die Spieler immer Probleme damit, Überblick über die Fähigkeiten der eigenen Ermittler zu behalten. Das kann zum einen daran liegen, dass die Spielfiguren in meinen Runden nicht selber erstellt wurden. Zum anderen ist es eventuell hilfreicher, die Spieler zu fragen, was sie erreichen oder bewerkstelligen wollen, wenn sie anfangen, sich intensivst mit ihren Bögen zu beschäftigen.
Es wurde auch nicht immer ernsthaft an die Sache herangegangen. Skurrile Szenen können entstehen. Die paranoide Grundstimmung eines Horrorszenarios wendet oft die Spieler gegeneinander. Auch das Ausspielen von aufkommendem Wahnsinn kann sehr viel Spaß machen.
Fazit
Ich persönlich spiele ToC gerne. Ich muss aber zugeben, dass die Regeln selbst mich nicht „anmachen“. Die Abenteuer sind in der Regel besser als das System. Genauso verhält es sich auch mit den Informationen zur Spielwelt. Das System hat gute Autoren, aber nicht notwendigerweise gute Regelautoren.
Das ideale Format für ToC ist für mich der One-Shot (oder zwei aufeinanderfolgende Sessions). Kampagnenspiel kann ich mir anhand der existierenden Abenteuer kaum vorstellen. Für actionreiche Horrorkampagnen ist man mit Realms of Cthulhu (Klick) für Savage Worlds sicher besser beraten.
Unsere Bewertung
Erscheinungsbild 2,5/5 Der Text dominiert eindeutig, hin und wieder ein paar gute Abbildungen.
Spielwelt 4/5 Die beschriebenen Kreaturen versprechen viel Stoff für Geschichten.
Regeln 2,5/5 Einfache Regeln, manchmal zu einfach.
Charaktererschaffung 3,5/5 Solides Kaufpunktsystem. Schnell.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht 4/5 Einfach zu leiten. Man behält den Überblick.
Spielbarkeit aus Spielersicht 4/5 Man kommt schnell rein und kann sich auf's Spielen konzentrieren.
Preis-/Leistungsverhältnis 4/5 Quantität und Qualität stimmen.
Gesamt 3,5/5 Spielt sich sicherlich anders als andere Cthulhu-Produkte. Sein Geld wert.
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