https://www.teilzeithelden.de/2020/04/10/ersteindruck-alien-rpg-grundregelwerk-fria-ligan-zwischen-konzernen-und-kreaturen/
Das All ist immer ein kalter und gefährlicher Ort für die Menschen geblieben, trotz aller Bemühungen. Und wer glaubt, dass die schlechte Bezahlung der raffgierigen Konzerne das Schlimmste da draußen ist, der wird bald ein böses Erwachen erleben. Und immer daran denken: Im Weltraum hört dich niemand schreien!
Es gibt Filme, die schreien geradezu heraus, dass die Welt, in der sie spielen, so viel mehr zu bieten hat und entdeckt werden will. Die Alien-Quadrologie, die 1979 mit Ridley Scotts gleichnamigem Horrorklassiker begann, waren für mich solche Filme. Daran änderten auch die Prequels Prometheus und Alien: Covenant nichts. Umso spannender fand ich es daher, als Fria Ligan zu diesem Franchise ein Rollenspiel ankündigten. Also mal schauen, was der kalte, erbarmungslose Weltraum des Alien-Universums noch so zu bieten hat, jenseits des Xenomorphs XX121, dem titelgebenden Alien.
Kleiner Hinweis vorneweg: Der Predator taucht nicht auf und wird es auch nicht. Andere Elemente aus dem Alien vs. Predator-Franchise allerdings schon, genau wie aus dem reichhaltigen, erweiterten Universum um Alien.
Für die Rezension lag die Hardcover-Ausgabe vor.
Die Spielwelt
Wie stellt sich die Welt aus den Alien-Filmen dar? Trist, menschenunfreundlich bis -feindlich und konzerndominiert. Genau dieses Gefühl fängt auch das Alien RPG ein, gleichzeitig ist die Spielwelt abwechslungsreich und interessant. Der beschriebene Jetzt-Zustand ist dabei das Jahr 2180, ein Jahr nach den Ereignissen aus Alien 3.
Cold War Reloaded…
Auf politischer Ebene spiegelt die Spielwelt die Ära des Kalten Krieges wider, in der die ersten beiden Filme entstanden. Die von Menschen besiedelte Galaxis wird politisch von drei Mächten dominiert.
Die United Americas (UA) sind genau das, wonach es sich anhört: ein Zusammenschluss aus Nord-, Mittel- und Südamerika, dominiert von den USA. Sie stellen die größte Militärmacht, vor allem repräsentiert durch die Colonial Marines. Mit der UPP sind sie direkte Konkurrenten und die Lage ist angespannt.
Die Union of Progressiv Peoples (UPP) schloss sich unter anderem aus Russland und China, aber auch Staaten wie Vietnam und Deutschland zusammen, um der Macht der konzernabhängigen UA und dem 3WE etwas entgegensetzen zu können. Eine Art abgewirtschaftete Sowjetunion der Spielwelt. Technologisch steht sie hinter den anderen einen Schritt zurück, ist aber hochgerüstet.
Das Three World Empire (3WE) ist nach den drei ersten Welten der Menschheit benannt: Erde, Mars und Titan. Tonangebend sind in diesem Staat Großbritannien und Japan. Der britisch-japanische Konzern Weyland-Yutani (W-Y) verhalf ihnen zu frühen Erfolgen in der Kolonisierung, hat sie allerdings auch weitestgehend abhängig von sich gemacht.
Es gibt noch kleinere Staatsgebilde und unabhängige sowie Konzernkolonien, aber die wichtigsten staatlichen Akteure sind diese drei.
Was man nun von dieser Portierung der Kalter-Krieg-Thematik in den Weltraum halten mag, ist sicher Geschmackssache. Es funktioniert sicher, wirkt aber auch ein bisschen platt. Die UPP erfüllt schon viele Klischees. Leider wird auch die Funktion des 3WE jenseits von W-Ys politischer Heimat nicht ganz klar.
…und Hyperkapitalismus…
Der Name Weyland-Yutani fiel schon oben. Dies ist der skrupellose Konzern aus den Filmen. In der Spielwelt ist es ein überaus mächtiger Mischkonzern, der selbst oder über Tochterfirmen in fast allen Bereichen die Finger hat. Die wichtigsten sind aber Terraformingtechnologie, Rüstung und Androiden. Und gerade erstere macht ihn zu einem unumgänglichen Kooperationspartner für die UA und das 3WE. Erstere nehmen das eher zähneknirschend hin, während letztere so sehr von W-Y profitieren, dass sie gar nicht daran denken, den Konzern an die Kandare zu legen. Zumindest bisher, denn W-Ys Suche nach den Xenomorphen hat einige Trümmer hinterlassen, zum Beispiel die Zerstörung der Kolonie Hadley’s Hope, die zu den UA gehörte. Auch wenn die Schuld der UPP untergeschoben werden soll, rückt W-Y als Verdächtiger mehr und mehr in den Vordergrund.
Wie in den Filmen ziehen sich auch im Buch W-Ys Machenschaften wie ein Roter Faden durch die Beschreibungen. Immer im Fokus die geheime Suche nach den Xenomorphen, die der Konzern zur Biowaffe umfunktionieren will.
Es werden noch zwei andere Konzerne näher beschrieben und insgesamt passen sie sich gut in die Stimmung der Welt ein. Tatsächlich wirken sie, trotz aller Machtfülle, wie eine zynische Fortschreibung unserer Wirtschaftswelt, statt wie überdrehte Cyberpunk-Konzerne. Unglaubwürdig ist nur, dass die Existenz der Xenomorphe wie ein offenes Geheimnis unter den Konzernen wirkt, während die Staaten scheinbar völlig ahnungslos sind.
Weil die SC genau in dieser Konzernwelt leben, gibt es ausführliche Tabellen, um für jede Art von Gruppe Aufträge zu generieren. Die sind recht umfangreich und divers, sodass SpielleiterInnen keine Probleme haben sollten, sich ein gutes Gerüst für ein Szenario zusammenzubasteln. Leider gibt es kaum Hinweise, wie man daraus auch eine Kampagne strukturieren kann.
…an der Grenze zum bewohnten Raum…
Der kolonisierte Weltraum ist, ausgehend von Kernwelten, in Zonen eingeteilt. Hier ist das wenig überraschend unser Sonnensystem. Umso näher die Zone, desto entwickelter sind im Schnitt die Kolonien.
Ein Kapitel beschreibt kurz alle Zonen, ebenso wie beispielhafte Sektoren, Systeme und Planeten. Hier bekommt man eine ordentliche Auswahl, die ein gutes Spektrum an verschiedenen Kolonien abdeckt.
Der spielrelevanteste Bereich des Raums ist die Frontier. Hier ist die Expansion gerade im Gange, kriselt es politisch am häufigsten und kommt es auch zu den meisten merkwürdigen Vorkommnissen. Also genau die Art von Umgebung, um SC auf Trab zu halten. Eine interessante Mischung aus rauem Pioniergeist und wirtschaftlicher Gier.
Was mir wirklich gefallen hat, sind auch hier Tabellen, um Sternensysteme zu bauen, bis runter zu dort etablierten Kolonien inklusive Plot Hooks. Auf jeden Fall eine gute Sache, denn gerade astronomische Begebenheiten schütteln die meisten, auch ich, nicht spontan aus dem Ärmel.
…mit der Technik von gestern…
Wenn in Prequels Technik gezeigt wird, die fortgeschrittener ist als in den Originalen, dann sorgt das oft für Diskussionen im Fandom. Mit dem Erscheinen von Prometheus hatte das Alien-Franchise auch so eine. Warum ich das erwähne? Weil im Buch auf genau diesen technischen Rückschritt eingegangen wird. Kurzfassung: An der Frontier muss alles günstig, zuverlässig und leicht zu warten sein. Deshalb gibt es auf einem Raumschiff wie der Nostromo altmodische Bildschirme und Tastaturen statt Holoprojektoren und Touchpads, was nicht mal unglaubwürdig ist. Bei Sachen wie dem Revival der Magnetbänder muss man dann schon schmunzeln, aber es ist ein nettes Augenzwinkern Richtung Fandom.
Soweit für mich überschaubar, taucht fast alles, was an Technik, Ausrüstung und Fahrzeugen beschrieben wird, in einem der Filme oder einem Computerspiel auf. Das ist eine gute Sache, denn es zieht einen direkt in das Setting. Einziger Kritikpunkt wäre, dass die paar Neuheiten oft keine Illustrationen haben, gerade bei den Fahrzeugen und Raumschiffen schade. Und es gibt mehrfach Erwähnungen von Technologie, mit der man Träume von Leuten im Kälteschlaf ablesen oder sogar manipulieren kann. Die ganze Thematik passt für mich irgendwie nicht ganz zum Rest, gerade wo sonst immer auf einfach gemacht wird.
…im Schatten der Xenomorphe
Was ist das Entscheidende an einem Alien-Rollenspiel? Richtig, Xenomorphe! Deren Präsenz zieht sich wie ein Schatten durch das ganze Buch mit Plot Hooks en masse. Das trifft besonders auf die Beschreibungen der Systeme zu. Hier werden auch zu den Planeten aus den Filmen spannende Optionen geliefert, wie man diese ikonischen Orte verwenden kann. Zum Beispiel ist der Gefängnisplanet Fiorina 161 nach Alien 3 komplett geschlossen, die Einrichtung gilt als uninteressant und -gefährlich und steht zum Verkauf. Leider stimmt das nicht wirklich, und der Xenomorph hat etwas hinterlassen, das dem Nachbesitzer mehr als nur wahrscheinlich zum Verhängnis wird.
Natürlich haben die Xenomorphe aber auch ihr eigenes Kapitel. Zu den vielen Inkarnationen dieser Bestien, inklusive der deutlich andersartigen Neomorphe aus Alien: Covenant, findet man hier ausreichend Informationen. Auch hier gibt es leider kaum Illustrationen. Die Grundformen des Aliens mag man auch so kennen, aber mit der Form des Crushers beispielsweise wird nicht jeder gleich etwas anfangen können. Der Crusher kam nur in einem einzelnen Computerspiel vor. Über diesen Wermutstropfen hinweg ist aber cool, dass solche Varianten überhaupt aufgenommen wurden.
Dieses Kapitel enthält auch ein paar Informationen über die Engineers und andere extraterrestrische Kreaturen, um etwas außerirdische Vielfalt in die Spielrunde zu bringen.
Die Regeln
Im Grunde hat man ein Pool-System, das auf dem beliebten Prinzip Attribute plus Skill basiert und nur sechsseitige Würfel verwendet. Eine geworfene 6 (bzw. das Erfolgssymbol auf dem Spezialwürfel) ist ein Erfolg. Ein Erfolg reicht, um eine Probe zu schaffen, der Rest kann für Stunts verwendet werden, die sich je nach Skill unterscheiden. Eine einfache, aber sehr funktionale Mechanik.
Man kann Würfe wiederholen, erhält dafür aber Stress. Für jeden Punkt Stress darf man einen Stress Dice hinzunehmen, der farblich abgehoben sein sollten. Wenn man mit einem Stresswürfel eine 1 (bzw. das Facehugger-Symbol auf dem Spezialwürfel) wirft, scheitert die Probe und ein Panic Roll wird nötig.
Das ist ein einfacher Wurf mit einem Sechsseiter plus dem aktuellen Stress-Level. Anschließend wird das Ergebnis mit einer Tabelle verglichen. Je höher, desto dramatischer der Effekt. Es reicht von einfachem Zähne zusammenbeißen bis hin zu Amok im Extremfall. Ich mag diese Mechanik. Sie stellt gut dar, wie Menschen im Angesicht extremen Drucks die Kontrolle über sich selbst verlieren. Und weil die Mitmenschen selten unbelastet davon bleiben, kann ein Panic Roll auch mal einen weiteren Wurf bei Umstehenden nach sich ziehen. So existiert im Spiel stets auch eine regeltechnische Gefahr jenseits der körperlichen.
Die körperliche Gesundheit kann übrigens sehr schnell dahin sein, denn Health-Punkte hat ein SC nur spärlich. Eine kurze Auseinandersetzung kann diese schnell aufbrauchen. Dann wird ein Wurf auf einer Tabelle für kritische Verletzungen gemacht. Auch hier ist ein hoher Wurf schlechter und bedeutet im schlimmsten Fall den sofortigen Tod für den SC. Und obwohl der Kampf gegen Menschen schon gefährlich genug ist, setzen die Xenomorphe noch einen obendrauf: SpielleiterInnen würfeln für sie die Angriffsart aus und je nach Ergebnis ist im Schadensfall die Art der kritischen Verletzung vorgegeben.
Tja, wenn der Xenomorph jemandem in den Kopf beißt, dann hat er dem SC eben in den Kopf gebissen!
Weil man aber nicht angegriffen werden muss, um in Gefahr zu sein, gibt es zusätzlich Regeln für fast alle anderen vorstellbaren Drangsale, von Dekompression über Nahrungsmangel bis Strahlung. Und das passt! Denn dass der Weltraum, Kolonien hin, Kolonien her, für die SC als Menschen eine lebensfeindliche Umgebung ist, gehört zu den Grundprämissen dieses Spiels.
Aber: SC sollen keine Wegwerfware sein! Es wird gerne betont, dass man selbst zwar gemütlich zu Hause sitzt, für die SC die Gefahr aber real ist. Für die SpielerInnen heißt das, keine dummen Risiken einzugehen und für die SpielleiterInnen, dass SC rohe Eier sind, die man in der hohlen Hand trägt. Wahrscheinlich fällt mal eins runter, aber provozieren muss man es auch nicht.
Raumschiffe haben ihr eigenes umfangreiches Kapitel, folgen aber dankbarerweise den gleichen Grundprinzipien an Regeln, die auch hier sehr praktisch wirken.
Charaktererschaffung
Die Charaktererschaffung orientiert sich an Konzepten aus den Filmen. Diese werden durch Careers repräsentiert. Da ist eine gute Bandbreite vorhanden. Es gibt beispielsweise den Officer, den Colonial Marine oder den Company Agent.
Etwas befremdet mich allerdings die Career Kid. Natürlich hat sie mit Rebecca Jordan ein Vorbild in den Filmen, aber ein Kind in dieser Welt zu spielen, ist schon harter Tobak. Ich würde diese Rolle nicht ohne Weiteres in eine Runde aufnehmen wollen. Selbst wenn aus der Beschreibung nicht ganz hervorgeht, ob nicht doch eher ein Jugendlicher gemeint ist.
Die weitere Charaktererschaffung ist einfach. Man erhält 14 Punkte, die man auf die vier Attribute Strength, Agility, Wits und Empathy verteilen kann. Dabei darf man keines über 4 setzen, mit Ausnahme des Key Attributs, der prägendsten Eigenschaft für die Career (z.B. Wits beim Scientist).
Es folgt die Verteilung von zehn Punkten auf die zwölf Skills. Auch hier gibt es Key Skills der jeweiligen Career.
Anschließend muss man nur noch eines von drei Starttalenten wählen und ein paar Charakterdetails sowie Ausrüstung festlegen, dann hat man es schon geschafft.
Sonderregeln gibt es, wenn man Androiden spielen will. Die größten Unterschiede sind höhere Attribute, eine andere Tabelle für Critical Injuries und dass ein Androide keinen Stress bekommt. Dafür dürfen sie aber keine Würfe pushen. Insgesamt sind Androiden aber potenziell doch mächtiger als andere Charaktere, weshalb so eine Figur für die Gruppe wohlüberlegt sein sollte.
Erscheinungsbild
An Erscheinungsbild und Verarbeitung gibt es bei diesem Buch nichts zu mäkeln. Der Text ist zweispaltig und wird durch reichlich Textkästen, Tabellen und ähnliches aufgelockert. Die Seiten sind in Schwarz gehalten, die Schrift und die Kästen sind weiß oder blassgrün, was prima die Stimmung der Spielwelt unterstützt. Illustrationen gibt es einige wirklich tolle. Man erkennt viel vom Design der Filme wieder und entsprechend gut trifft es auch das Flair. Nur hätte ich insgesamt gerne mehr Neues, und mehr Xenomorphe…
Bonus/Downloadcontent
Es gibt u.a. Charakter- und Schiffsbögen auf der Homepage von Fria Ligan. Dort finden sich auch Karten zum Mini-Szenario Hope’s Last Day aus dem Buch. Alles gibt es im Design des Buches oder in druckerfreundlicher Variante.
Fazit
Am Ende angelangt zurück zur ursprünglichen Frage: Schafft dieses Grundregelwerk eine Rollenspielwelt zu schaffen, die mehr Geschichten ermöglicht, als man aus den Filmen kennt? Ja, definitiv. Man bekommt ein hartes, aber auch unglaublich spannendes Science-Fiction-Setting, ausgestattet mit einem leicht zu erlernenden und gut geeigneten Regelsystem. Wen die Filme faszinieren, der wird an diesem Spiel seine Freude haben. Und wer mit dem erweiterten Universum des Franchise vertraut ist, der findet hier alle möglichen Referenzen und verwendetes Material. Das Ganze ist gut aufbereitet, auch wenn es an der einen oder anderen Ecke etwas hapert beziehungsweise mehr sein könnte. Wenn man dem Spiel zum jetzigen Stand einen Vorwurf machen will, dann dass es sich nicht sicher zu sein scheint, was für eine Geschichte es insgesamt erzählt. Dafür, dass Xenomorph XX121 der Unique Selling Point ist, wird sehr viel über staatliche Konflikte erzählt. Aber letztlich ist das nicht schlimm, SpielleiterInnen finden schon problemlos eine passende Nische für ihre Gruppe. Voraussetzung für jedes Spiel ist aber, dass man normale Menschen spielen will, die versuchen sich tödlichen Gefahren entgegenzustemmen, auch wenn sie eigentlich nur über die Runden kommen wollen.
Insgesamt hat das ALIEN RPG ein gutes Grundregelwerk bekommen, das eingängig zu lesen ist und genug Material bietet, um viele eigene Runden zu gestalten. Genau das, was ein Grundregelwerk meiner Meinung nach leisten soll.
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