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Rezension: Behind the Walls – Knastklamotte, weichgespült (Fate Core)
Fans der Serien Prison Break, Orange Is The New Black und Frauenknast dürfen jetzt aufhorchen: Evil Hat erweitert die World of Adventure-Reihe mit einem neuen Setting, das das Gefängnisleben in den Vordergrund stellt. Endlich einmal so smart wie Andy Dufresne in Die Verurteilten den eigenen Ausbruch planen oder so tough wie Nicolas Cage in Con Air den wirklich bösen Jungs an den Kragen gehen.
Behind the Walls möchte anders sein. Das Setting spielt in einem dystopischen Amerika der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Der kalte Krieg ist in dieser Welt eskaliert und nach einem gründlichen Bombardement durch die russische Luftstreitmacht liegt die amerikanische Infrastruktur am Boden. Die Charaktere dieses Settings dürfte das aber wenig interessieren – sie sitzen allesamt im Knast. Der Krieg ist mittlerweile beendet, doch die Folgen immer noch spürbar – außerhalb des Gefängnisses.
Inhalt
Diese etwas dünne Rahmengeschichte ist die Einleitung zu Behind the Walls. Dass eine komplette Nation praktisch kollabiert ist, scheint in dieser Welt den staatlichen Vollzug nicht im Mindesten zu beeinträchtigen. Ganz Fate–typisch beginnt man mit der Erschaffung seines Strafgefangenen.
Um es dem Spieler möglichst einfach zu machen, erhält man zu Inspirationszwecken eine Liste möglicher Straftaten, die, je nach Bedarf, in das eigene Konzept übernommen werden können. Ansonsten folgt das Setting der normalen Charaktererschaffung: Ein Konzept, das den Charakter definiert, ein Dilemma, um ihm das Leben schwer zu machen und drei weitere Aspekte zum Herausarbeiten von Feinheiten.
Auch die Fähigkeiten bleiben weitgehend identisch zum System. Lediglich zwei Neuerungen wurden eingeführt: Zum einen muss die Wissen-Fertigkeit spezialisiert werden, zum anderen wurde Erfinden als eine eigene Fertigkeit mit aufgenommen und dient der Herstellung rudimentärer Waffen und Gegenstände.
Behind the Walls behandelt die Stunts anders, als das generische Fate Core–System. Diese werden in die Kategorien Persönlich, Kooperativ und Geheim aufgeteilt. Während persönliche Stunts den klassischen am nächsten kommen, funktionieren kooperative Stunts nur, wenn der Charakter gemeinsam mit genau einem weiteren Mitstreiter in eine bestimmte Situation gerät. Geheime Stunts sind zu Spielbeginn nur dem Spieler und dem Spielleiter bekannt. Diese stellen ein zweischneidiges Schwert dar. Einerseits erhält der Spieler mit einem geheimen Stunt eine vergleichsweise mächtige zusätzliche Möglichkeit, die eigenen Fertigkeiten einzusetzen. Andererseits muss der Stunt auch eine negative Seite haben. Der Beispielstunt erlaubt es dem Charakter in physischen Konflikten zusätzlichen Stress einzustecken, zwingt ihn in Täuschungs-Wettstreiten aber zur Aufgabe.
Neu bei Behind the Walls sind Geheimnisse. Dabei handelt es sich um besondere Aspekte, die zu Beginn nur dem Spieler bekannt sind. Denkbar sind hier viele Varianten. Ein Charakter könnte in den Tod eines Wachmannes verwickelt sein, sich nachts einnässen oder im Geheimen einen mächtigen Mitgefangenen erpressen. Für den Charakter sind die Konsequenzen, wenn sein Geheimnis ans Tageslicht kommt, jedenfalls alles andere als angenehm. Diese Geheimnisse dienen als Triebfedern der Charaktermotivation und haben bestimmte Sondereffekte, sollten sie ans Tageslicht kommen. Dabei handelt es sich allerdings mehr um storyrelevante Auswirkungen, die nicht über Regelmechanismen abgebildet werden. Der Spieler darf sich am Schluss noch entscheiden, ob der Charakter ein Mitglied einer der großen Gangs, den Angels oder Thorns, ist oder ob er sich als Unabhängiger durchzuschlagen versucht.
Die vorgestellten Wachen sind entweder korrupt, faul oder beides und kommen insgesamt nicht sonderlich gut in der Beschreibung weg. Das ist aber auch praktisch schon alles, was man aus dem klassischen Gefangenendrama-Genre übernommen hat. Und dieser Punkt ist für das System unheimlich schmerzlich: Anstatt die in Gefängnissen (insbesondere in den Vereinigten Staaten) existierenden Vorbehalte zu betonen, um genügend Konfliktpotential zu bieten, wurden viele Reibungspunkte entfernt. Rassismus? Homophobie? Gibt es nicht. In der Collins Park Correction Facility kann man auch beruhigt die Seife fallen lassen – so niedere Emotionen und Handlungen, wie sie aus einem solchen Missgeschick erwachsen könnten, gibt es hier nicht. Dementsprechend handelt es sich bei den großen Gangs auch eher um eine Konfrontation von Schlägertypen gegen kriminelle Büroangestellte – rohe Gewalt gegen politische Finesse. Wer in diesem Szenario blitzartig den Kürzeren ziehen würde, ist keine Frage, über die man sich lange den Kopf zerbrechen muss.
Auch das mitgelieferte Abenteuer bietet nur wenig Substanz. Beide Gangs wollen sich mal wieder an die Kehle und möchten die vom Gefängnisdirektor einberufenen Friedensgespräche als Bühne für ihre Auseinandersetzung nutzen. Weil das schon ein bisschen platt daherkommt, streut man eine kleine Romeo-&-Julia-Einlage mit ein. Dumm nur, dass der Romeo auch noch kreuzdämlich ist und den Spielern brühwarm und ohne konkreten Anlass seine Fluchtpläne enthüllt. Das ergibt zwar überhaupt keinen Sinn, aber ansonsten funktioniert der Plot nicht mehr. Der Fluchtversuch wird zu allem Überfluss sehr undramatisch in wenigen Sätzen geschildert. Soll sich der Spielleiter doch was Spannendes ausdenken! Hat man sich so weit durch das Abenteuer gequält, darf der Spielleiter sich dazu noch überlegen, wie das Geschehene das Leben im Gefängnis verändern wird.
Insgesamt ist das angebotene Abenteuer, dass auch direkt mit der Flucht der Spieler aus der Haftanstalt enden kann, eine ziemliche Enttäuschung. In wenigen Seiten wird die Welt außerhalb des Gefängnisses beschrieben. Allerdings bleibt das Setting hier unheimlich vage. Man könnte ja mit mehr Strahlung arbeiten, oder weniger. Oder das Gefängnis liegt in der Nachbarschaft einer Überlebendensiedlung. Sensationell. Leider in wenigen belanglosen Phrasen lieblos dahingerotzt.
Eigentlich bietet das Knast-Genre viel Zündstoff. Unterschiedliche Überzeugungen auf engstem Raum ohne Rückzugsmöglichkeiten sorgen für eine intensive und vor allem bedrohliche Atmosphäre. Leider zensiert sich Behind the Walls durch übervorsichtige Political Correctness um zahlreiche spannende Situationen und Momente. Damit nimmt man dem Spiel selbst den Zahn, denn das Klischee der eigentlich gar nicht so bösen Häftlinge und der korrupten Wachen nutzt sich sehr schnell ab. Da man sich in Gefangenschaft per Definition ohnehin nicht so frei bewegen kann, können die mangelnden Reibungspunkte schnell zu Langeweile führen.
Preis-/Leistungsverhältnis
Wie Save Game wurde auch dieses Setting durch die Patreon–Kampagne von Evil Hat finanziert. Der gelieferte Inhalt fällt dieses Mal aber leider etwas dünn aus. Dem Preisvorschlag von 4 USD steht inhaltlich nur ein geringer Wert gegenüber, der wenigstens mit seinem Erscheinungsbild punkten kann.
Erscheinungsbild
Behind the Walls Cover FATE World CoreDas gelieferte PDF hat das mittlerweile schon klassische Fate Core–Layout. Damit sehen zwar alle Worlds of Adventure irgendwie gleich aus, dafür sind bei der optischen Gestaltung aber auch keine größeren Entgleisungen zu erwarten. Die sparsam platzierten Grafiken fangen die beengte und vor Konflikten schwelende Atmosphäre gelungen ein. Ein verlinktes Inhaltsverzeichnis versorgt das PDF mit einem Minimum an aktueller Technik, auf einen Index oder Verlinkungen innerhalb des Textes wurde leider komplett verzichtet. Optisch gesehen platziert sich dieser Band, wie alle Worlds of Adventure, auf den vorderen Rängen, patzt aber durch mangelnde mediale Unterstützung.
Fazit
Dieser Settingband lässt mich enttäuscht zurück. Wie gerne möchte ich darüber schreiben, wie gut dieses Setting die bedrohliche Atmosphäre eines Gefängnisses einfängt. Wie die schwelenden Konflikte zwischen den Gefangenen den Alltag bestimmen und wie man als Charakter in diesem gefährlichen Umfeld versucht, selbst Einfluss zu nehmen – doch nichts davon trifft wirklich zu.
Durch den Verzicht auf nahezu alle kontroversen Themen und Konfliktherde bleibt nämlich nichts mehr zurück. Rassismus? Sexuelle Vergehen? Homophobie? Nicht in der weichgespülten Welt von Behind the Walls.
Ebenso zahnlos wie unrealistisch kommen die vorgestellten Gangs daher. Da man vereinende Merkmale wie die eigene Herkunft als potentiell kontroverses Thema ausgeschlossen hat, bleiben nur noch die generischsten Klischees, um die Unterschiedlichkeit der Gangs zu unterstreichen.
Das Setting selbst kommt etwas wirr daher. Die Welt außerhalb des Gefängnisses ist ziemlich am Ende. Wieso mich das als Gefangener, der erst einmal fest sitzt im gesamten Kontext, stören soll, wird mit keinem Wort erwähnt. Auch das Gefängnisleben wird mehr gestreift als konkret beschrieben. Von dem festgelegten Tagesablauf bis hin zu klassischen Themen wie Flucht, Schmuggel oder Machtspielchen hätte es jede Menge Stoff gegeben, der leider nicht genutzt wurde. Die Beschreibung der Welt außerhalb der Mauern wirkt dazu noch nicht einmal mehr bemüht und wirft dem Leser nur ein paar vage Ideen an den Kopf, was denn alles sein könnte. Obwohl das Setting sich um das Thema Gefängnisleben dreht, vermittelt es kaum thematisches Wissen oder wenigstens Atmosphäre.
Schlussendlich rettet dieses Produkt einzig die gelungene optische Aufmachung vor dem Totalausfall – ansonsten beschäftigt sich das Produkt mit wenigen relevanten Themen, bereichert das Fate Core–System nur unwesentlich und verfehlt das Ziel, den Knastalltag in einem Setting gelungen einzufangen.
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