Mit Psychedemia hat Evil Hat Productions eine World of Adventure entwickelt, die Science-Fiction von einer unverbrauchten Seite zeigt. Die Akademie sollte euch darauf vorbereiten, eure neu entdeckten psionischen Fähigkeiten zu kontrollieren. Doch die Entdeckung des Reiches, das ihr in euren Träumen und Meditationssitzungen bereist verändert alles.
Rezension: Psychedemia – Harry Potter im Weltall (Fate Core)
Rollenspielern fällt es leicht, neue Welten zu erdenken und mit allerlei spannenden Orten und interessanten Herausforderungen zu füllen. Bei Psychedemia, einem weiteren Ableger der World of Adventure-Reihe, liegt dieses Privileg aber nicht mehr länger nur in der Hand des Spielleiters, sondern auch die Spielercharaktere dürfen sich in diesem Setting nach Herzenslust kreativ austoben.
Psychedemia ergänzt die Produktserie um ein spannendes Science–Fiction Setting, das Elemente aus Harry Potter, Trinity und klassischen Sci-Fi-Stories zu einem bunten Mix um die weitere Zukunft des besiedelten Weltalls verwebt.
Inhalt
Die Menschheit hat es geschafft. Zunächst gelang es nur, einige wenige Planeten in der direkten Umgebung zu besiedeln, doch mit der Entwicklung des Überlichtantriebes konnte ein erster Kontakt zu außerirdischen Wesen hergestellt werden. Leider verliefen alle bisherigen Begegnungen nicht sonderlich friedvoll.
In Aufruhr versetzt, beschlossen die führenden Mächte, die erst kürzlich entdeckten psionischen Kräfte der heranwachsenden Generation zu fördern. Damit wurde die Akademie an einem geheimen Ort auf einem verlassenen Asteroiden im All errichtet. Um an der Akademie aufgenommen zu werden, muss der Aspirant eine ganze Reihe an physischen und psychischen Tests, Neuroscans und wissenschaftlichen Prüfungen über sich ergehen lassen.
Je nach Können der aufgenommenen Jung-Psioniker werden sie einer der vier Ausbildungskompanien, Alpha, Bravo, Charlie und Delta zugewiesen. Während es sich bei der Ersten um die Elitekompanie der Akademie handelt, landen in Delta all jene, die die Prüfungen gerade so hinter sich bringen konnten.
Die Spielercharaktere sind Teil eben jener berüchtigter Delta-Kompanie, von den Ausbildern belächelt und den Mitschülern schikaniert.
Charaktererschaffung
Ganz im Stil von Fate Core bedient sich auch Psychedemia den meisten Mechaniken des Grundregelwerkes. Die Aspekte werden hier allerdings nicht in Zusammenarbeit mit den anderen Spielern entwickelt, sondern konzentrieren sich auf den eigenen Charakter. Neben den üblichen Aspekten Konzept und Dilemma wird je ein Aspekt für das Erwachen der psionischen Fähigkeiten, für den Testablauf der Akademie und ein letzter für die ersten Erfahrungen auf der Akademie gewählt. Der letzte Aspekt kann und sollte dazu genutzt werden, erste Beziehungen und Rivalitäten zu Spieler- oder Spielleitercharakteren aufzubauen.
Bei der Auswahl der Fertigkeiten wird zwischen den vorgegebenen psychischen und den weltlichen Fertigkeiten unterschieden. Viele der normalen Fertigkeiten, wie zum Beispiel Kämpfen und Schießen, wurden in allgemeinere zusammengefasst, dafür dürfen nicht mehr so viele Fertigkeiten gewählt werden, um dem jugendlichen Alter der Akteure gerecht zu werden.
Die psychischen Fertigkeiten sind außersinnliche Wahrnehmung, Psychokinese und Telepathie. Jeder Spielercharakter verfügt über grundlegende Kenntnisse in allen Bereichen, darf sich aber eine aussuchen, die er oder sie besonders gut beherrscht. Es existieren keine gesonderten Regeln für den Einsatz psionischer Fertigkeiten, allerdings werden in Psychedemia Zustände (engl. Conditions) eingesetzt, um besonderen Situationen Rechnung zu tragen. Jede Fähigkeit kann entweder „unkontrolliert“ oder „ausgebrannt“ sein und erlaubt es den Charakteren damit, über ihre eigenen Grenzen hinauszuwachsen.
Sind die Spielercharaktere erstellt und die ersten Beziehungen geknüpft, kann es losgehen.
Ich denke, also bin ich
Haben die Spieler sich erst einmal in der Akademie eingelebt, die wichtigsten Spielleitercharaktere kennengelernt und die ersten Auseinandersetzungen mit den Mitschülern gehabt, erwartet sie eine Überraschung: Während einer Meditationssitzung finden sie sich gemeinsam in einem Raum wieder, den sie nach eigenen Vorstellungen formatieren (Spielausdruck für „gestalten“) können. Wer jetzt an Matrix denkt, hat schon eine ziemlich gute Idee von dieser Parallelwelt, die einfach nur „das Reich“ genannt wird. Dieses Reich ist in mehrere Regionen eingeteilt, die unabhängig voneinander formatiert werden können. Dies wird regeltechnisch über Aspekte realisiert. Je mehr Aspekte eine Region bereits hat, desto schwieriger wird die weitere Gestaltung.
Nach ersten Versuchen und der Erforschung der Möglichkeiten, entdecken auch andere Schüler, allen voran die Alpha-Kompanie, das Reich und beginnen, sich ihre eigenen Regionen zu erschaffen. Schon bald erregt der menschliche Schaffensdrang die Aufmerksamkeit eines Webers, der die Spielercharaktere zu einer Reise zum Mittelpunkt des Reiches einlädt. Dort treffen die Charaktere auf weitere Rassen und erkennen, dass das Reich eine friedliche Austauschplattform zwischen den Rassen des Universums ist, von denen nicht alle den Menschen wohl gesonnen sind.
Die vorgestellten Rassen sind zum Beispiel die Weber, die stets nach Optimierung streben oder die Spindle, deren Neugierde nahezu sprichwörtlich ist. Der Chor ist eine Rasse, die die Wahrheit kennt. Bedauerlicherweise bedeutet das nicht, dass sie diese Wahrheit auch in andere Sprachen übersetzen können. Daher sind ihre Bemühungen, die tieferen Wahrheiten mit den anderen Rassen zu teilen, bisher zum Scheitern verurteilt. Das Quartett wird durch die kriegerischen Wandoon abgerundet. Wandoon sind keine Freunde der Menschen und sehen sie als Gefahr für den galaktischen Frieden an. Mit ihren massigen Körpern und acht Gliedmaßen sind sie Wesen, vor denen man sich besser in Acht nehmen sollte.
Und damit befinden wir uns mitten im Abenteuer, das einen großen Teil dieses Settingbandes ausmacht. Anders als in klassischen High-School Geschichten geht es hierbei allerdings weniger um die inneren Konflikte der Teenager, sondern um eine handfeste Auseinandersetzung zwischen den aggressiven Menschen und den harmoniesuchenden Außerirdischen. Die Story erinnert entfernt an Avatar, die Parallelen sind aber so gering, dass sich Avatar-Witze am Spieltisch in Grenzen halten.
Leider bietet der Band dabei ziemlich wenige spannende Charaktere an. Die Leitung der Akademie übernimmt ein Duo, dass stark an Albus Dumbledore und Hausmeister Filch aus Harry Potter erinnert. Die Kompanien erhalten jeweils einen knappen Absatz Beschreibungstext und auch die studentischen Kommandeure erhalten nicht viel mehr an Hintergrund. Genug, um sie voneinander unterscheiden zu können, aber zu wenig, um wirklich im Spiel als unterschiedliche Kompanien wahrgenommen zu werden.
Dem Spielleiter bleibt nichts anderes übrig, als selbst spannende Mitschüler oder sogar Rivalen zu entwickeln. Auch das tägliche Schulleben wird nur knapp angerissen und bleibt in vielen Teilen ziemlich vage.
Das gilt übrigens auch für die Welt nach dem Abenteuer. Egal wie die Charaktere innerhalb der Kampagne handeln, die Ergebnisse werden nur grob für die gesamte Galaxie beschrieben. Das Schicksal der Spielercharaktere wird in der Beschreibung nicht weiter berücksichtigt. Aus diesem Grund ist das Setting in erster Linie für Systemeinführungen geeignet, denn nach dem Abschluss der Kampagne bleibt leider nicht mehr viel übrig, auf das der Spielleiter an Hintergrundmaterial zugreifen könnte. Dieses Problem haben aber auch andere World of Adventure Settings, wie zum Beispiel Behind the Walls.
Preis-/Leistungsverhältnis
Psychedemia wird, wie alle World of Adventure Produkte, mit dem Pay What you Want–Modell vertrieben. Der vorgeschlagene Preis von 4 USD ist dabei angemessen. Wäre die Beschreibung der Akademie, des Reiches und vor allem der Welt etwas ausschweifender gewesen, hätte der Preis durchaus höher sein können, das Setting gibt auf jeden Fall genug Material her.
Erscheinungsbild
Wie die anderen World of Adventure Produkte, verwendet auch Psychedemia das gemeinsame Layout. Dieses besticht durch eine gute Lesbarkeit und klare Kontraste. Die verwendeten Abbildungen im Comic-Look sind professionell gezeichnet und vermitteln ein stimmungsvolles Bild der Akademie und des Reiches.
Leider verzichtet Psychedemia neben dem voll verlinkten Inhaltsverzeichnis auf weitere multimediale Orientierungshilfen wie einen Index oder Verweise im Text. Der Textsatz ist professionell, aber längere Textpassagen wirken gedrängt und sind mitunter schwer am Stück zu lesen.
Ein nettes Gimmick sind unterschiedliche Symbole für die Akademie und das Reich. Diese werden bei der angebotenen Kampagne genutzt, um den Schauplatz bereits in der Überschrift anzukündigen.
Insgesamt überzeugt das Erscheinungsbild des Bandes. Die vermittelte Stimmung hat viel eines fantastischen High-School-Movies wie zum Beispiel Sky High oder Harry Potter, ist von der Atmosphäre aber etwas ungezwungener.
Fazit
Psychedemia hinterläßt einen guten Eindruck. Das Setting ist in sich schlüssig und die gegebenen Hintergrundinformationen sind für eine kurze Kampagne ausreichend. Gruppen, die an einem länger währenden Setting interessiert sind, müssen auf die eigene Kreativität zurückgreifen, um die zahlreichen Lücken zu schließen. Gerade das weitere Spiel im Anschluss an die Kampagne wird durch die Unterschiedlichkeit der weltlichen Akademie und des träumerischen Reiches zur Zerreißprobe.
Dafür bietet die Kampagne einen interessanten Einblick in die Haltung der vier anderen Alienrassen, die alle in kurzen Worten angerissen wurden. Generell ist dieses Spiel, gerade durch die Formbarkeit des Reiches, ideal für den Einstieg in Fate geeignet. Neulinge lernen schnell, die Umgebung frei für sich zu verändern, ein Regelmechanismus, der in dieser Form bei allen Fate-Settings zum Einsatz kommt. Der überspitzte Einsatz fordert Spieler, selbst kreativ zu werden. Damit ist Psychedemia gerade für Gruppen, die mit dem Gedanken spielen, Fate einmal auszuprobieren hervorragend geeignet.
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