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Rezension: Romance in the Air – Steampunk Pulp Political History Irgendwas (Fate)
Rezension: Romance in the Air – Steampunk Pulp Political History Irgendwas (Fate)
Wir befinden uns in der Welt des „Fin de Siècle“ am Ende des 19. Jahrhunderts. Doch diese Welt ist anders, als die in unseren Geschichtsbüchern. Hier gibt es keine komplexe Landkarte eines zersplitterten Europas, sondern drei um Vormacht streitende Großreiche. Während am Boden für den großen Krieg gerüstet wird, reisen Fürsten, Diplomaten und Spione im Steampunk-Zeppelin über den Kontinent. Die Stimmung ist angespannt, aber es wird geflirtet, der Wein fließt reichlich, die Musik spielt zum Tanz und die Intrigen nehmen ihren verhängnisvollen Lauf.
Inhalt
Romance in the Air ist ein Erweiterungsband für das Fate-System auf 56 Seiten. Es spielt in einem alternativen historischen Szenario um die vorletzte Jahrhundertwende. Es streiten drei Großmächte mit unterschiedlichen Mitteln um die Vorherrschaft auf dem alten Kontinent Europa:
Das „Britannic Empire“ ist der traditionelle Herrscher des Kontinents. Mit einer großen Luftschiffflotte hat es einen entscheidenden militärischen Vorteil auf seiner Seite. Dazu steckt seine hervorragende Dampf-Industrie die der anderen Imperien in die Tasche.
Das „Muscovite Empire“ ist der Emporkömmling und kriegstreibende Rivale auf dem Kontinent. Sein Militär zu Land sucht seinesgleichen und seine Spione bereiten den Krieg vor. Es ist quasi ein grimmiges Russland zur Zarenzeit.
Das „Caliphate of Baghdad“ versucht mit herausragender Diplomatie nicht zwischen die Fronten zu geraten und aus den Spannungen der beiden anderen Großmächte seinen Vorteil zu ziehen.
Wirklich innovativ ist keines davon: Das Britannic Empire ist quasi England plus Frankreich zu Viktorianischer Zeit, das Muscovite Empire ist die grimmige Entsprechung Russlands zur Zarenzeit und das Caliphat of Baghdad ähnelt dem Osmanischen Reich mit besonderer Betonung der Kulturschätze. Geringere globale Mächte, wie etwa Deutschland oder Polen, sind zwar auf der Landkarte eingezeichnet, spielen für Romance in the Skies aber keine Rolle. Schade, denn gerade sie hätten mehr Spannung in den ansonsten recht klischeehaften Aufbau bringen können. Wer mehr über erwähnte Nebenreiche, wie etwa das „Kingdom of Neaples“, wissen möchte, muss selbst recherchieren.
Das Setting: Persönliches statt Politik
Dass der internationalen Politik in einem politischen Rollenspiel so wenig Text gewidmet wird, ist auf den ersten Blick seltsam. Beim Lesen offenbart Romance in the Skies aber seinen Fokus auf persönliche Geschichten, in denen Politik zum Hintergrund schillernder Charaktere wird. Die Spieler verkörpern dabei Mitglieder der gehobenen Gesellschaft, Spione oder Diplomaten, die auf dem Luftschiff Pension Bellvue, einem neutralen Ort über den Wolken, Europa bereisen. Das Setting hält sogar eine Flugroute von London bis Alexandria bereit und beschreibt viele Sehenswürdigkeiten der Reise im Detail. Das Schiff selbst wird aber nur kurz erwähnt. Auch die Liste von Passagieren fällt stichwortartig knapp aus. So ist beispielsweise „Mr. Yves Chevalier“ seiner Beschreibung nach ein einflussreicher Industrialist mit großem Appetit; von welcher Großmacht oder auf was er Appetit hat, bleibt dabei offen.
Mehr Sozialfähigkeiten
Romance in the Air setzt auf die Fate Core–Regeln, benutzt aber eine eigene Auswahl an Skills: Neu sind etwa „Espionage“ (Spionage), „Diplomacy“ (Diplomatie), „Gamble“ (Glücksspiel) oder „Industry“ (Industrie als Ressource unter dem Einfluss des Charakters). Das passt gut zum Setting, ist für Fate Core-Spieler aber gewöhnungsbedürftig. Die Vielzahl an sozialen Fähigkeiten ermöglicht einerseits ein sehr nuanciertes Intrigenspiel und lässt sich gut in andere Fate-Settings mit einem Fokus auf sozialer Interaktion exportieren. Andererseits führt dies zwangsläufig zu inhaltlichen Überschneidungen: Ist nun Empathie, Diplomatie oder Gesellschaftswissen gefragt? Hier muss der Spielleiter entscheiden
Großmächte und Luftschiffe mit Regeln
Etwas Besonderes an Romance in the Air ist die Möglichkeit, Länder durch die Fate-Regeln auszudrücken und mit diesen große Politik zu spielen. Leider fehlt hier eine ausführliche Liste von möglichen Aspekten oder Stunts für Länder, so dass sich das System schlecht auf andere Spiele übertragen lässt. Im Rahmen des Abenteuers sind sie aber durchaus brauchbar, wie auch die beigefügten Fahrzeug-Regeln für Luftschiffe und Flugzeuge.
Tipps zu Intrigen
Das Fin de Siècle ist nicht gerade eine Zeit, in der sich Rollenspieler normalerweise austoben. Da ist es gut, dass Romance in the Air viel Mühe darauf verwendet, den Spielleiter beim Aufbau und Verlauf des Szenarios zu unterstützen. So gibt es nützliche Ratschläge, wie man Spieler gegeneinander aufstellt und damit Intrigenspiel begünstigt. Auch mehrere Tabellen für Zufallsereignisse an Bord oder während der Landgänge helfen Spielleitern dabei, das Spiel aufzulockern und für Gesprächsthemen an Bord zu sorgen. Manche davon geben sogar solide Ideen für ganze Abenteuer ab.
Ja was denn nun?
Das größte Problem von Romance in the Air ist das schwammige Setting, das sich irgendwo zwischen Orient Express-Romantik, Mata-Hari-Spionage und Pulp-Action, zwischen Downtown Abbey, und Dr. Schiwago verortet. Im Regelwerk wird das Genre des Spiels etwa als „Steampunk Pulp Romance Political History Drama“ umrissen. Dass im Regelwerk noch Final Fantasy, („Welcher Teil überhaupt?“), Fullmetal Alchemist („Anime, echt jetzt?“) und der Webcomic Girl Genius erwähnt werden, stiftet mehr Verwirrung, als dass es hilft. Zusammen mit dem eher skizzenhaften Aufbau des Luftschiffes und der kurz geratenen Beschreibung der politischen Mächte ist hier viel Interpretation und Eigenleistung des Spielleiters gefragt.
Preis-/Leistungsverhältnis
Romance in the Air wird wie alle World of Adventure-Produkte mit dem Pay What you Want-Modell vertrieben. Der durchschnittliche Preis von knapp 3 USD geht trotz inhaltlicher Mängel voll in Ordnung. Hier wäre aber mehr drin gewesen: Mit ausführlicher Beschreibung des Luftschiffs, seiner Passagiere und einiger neutraler Staaten hätte der Preis deutlich höher ausfallen können.
Erscheinungsbild
Romance in the Air Teaser FATEWer bereits eine andere World of Adventure gelesen hat, weiß was ihn hier erwartet. Das Layout ist solide und übersichtlich, ein paar vollfarbige Zeichnungen lockern den Lesefluss auf und die Karten der Spielwelt und des Luftschiffs sorgen für Übersicht.
Fazit
Die Stärke der anderen World of Adventure liegt in den fokussierten Spielwelten mit klaren Themen zum sofortigen Losspielen. Nach dem Lesen von Romance in the Air bleiben aber zu viele Fragen offen. Warum spielt das Steampunk-Element kaum eine Rolle? Wie sieht die aktuelle politische Lage des Kontinents aus? Wo liegen die Schwerpunkte des Spiels? Auch ein Fate-Produkt sollte dies nicht alles handwedeln.
Dabei hat die Idee einer Reise über den Wolken durchaus ihren Charme. Mit der richtigen, kreativen Spielrunde kann Romance in the Air ein Sprungbrett sein und eine großartige Diplomatie- und Intrigen-Kampagne ermöglichen. Das Potential ist da. Doch dafür muss der Spielleiter noch einiges an Vorbereitung und Arbeit investieren. Dank dem niedrigen Preis lohnt sich trotzdem der Kauf, allein für die guten Ideen und die ausgefeilten Regeln für gesprächslastige Abenteuer.
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