http://www.teilzeithelden.de/2015/04/01/rezension-save-game-press-start-to-begin-fate-core/
Mit dem Schreiben dieser Rezension wird mir schmerzlich bewusst, dass ich langsam alt werde. Unsere reiferen Leser werden sich sicherlich an die Spielkonsolen der 8-bit-Ära erinnern. Prominente Vertreter waren das Nintendo Entertainment System (kurz NES), das Sega Master System oder der legendäre Atari. All diese Spielekonsolen hatten Einiges gemein: eine charmant-pixelige Optik, ein Videospiel-Gedudel mit Ohrwurmgarantie und ein Steuerung, die jeden Controller und Joystick einer täglichen Belastungsprobe aussetzte. Für unsere jüngeren Leser: „Ralph reicht’s!“ wäre ein Vertreter dieser Ära gewesen.
Das Fate Core–Setting Save Game versetzt euch als altgediente Pixelhelden auf die arkadianischen Inseln, die Heimat aller Spielehelden.
Voller Nostalgie öffne ich den Band und lasse mich von ihm in eine Welt ziehen, die fremd und zugleich so vertraut ist.
Inhalt
Auf nur 56 Seiten zeichnet Rob Wieland eine bunte Welt, die den Charme der 8-bit-Spiele auf jeder Seite einfängt. Die Helden von einst sind durch die neuen Spieleheld-Generationen abgelöst worden und haben sich über das Informationsmeer zurückgezogen. Ihren Ruhestand verbringen sie auf der malerischen Insel Tendoria, einer der ältesten der arkadianischen Inseln. Tendoria zeichnet sich durch hügelige, grüne Texturen, zerstörbare Blöcke und kräftige Farben aus. Die Ruheständler haben sich hier mit ihrer Prinzessin oder ihrem Prinzen ein neues Leben aufgebaut, oder warten hoffnungsvoll in Kampfgestalt auf ihren nächsten Einsatz.
Dieser kommt schneller, als es vielen Pixons, wie sich die Bewohner der arkadianischen Inseln nennen, lieb ist. Eines Tages startet die Invasion des Glitchs. Der Glitch ist eine Mischung aus Wahnsinn und Hunger, ein körperloses Übel, das wie ein Sturm über Tendoria zieht. In seinem Gefolge finden sich purpurne Codefragmente, sogenannte Jacks, die auf die überraschten Pixons herabregnen und viele mit einem Schlag töten oder infizieren.
Infizierte Pixons tragen denselben Wahnsinn in sich und sind an purpurnen Malen erkennbar. Mithilfe der Infizierten erobert der Glitch Stück für Stück von Tendoria.
Selbst die größten Helden Tendorias, Doctah Chompah, die Falzetti-Schwestern, Prinzessin Orianna, MagnaMonk und Brad DeVries fallen nach erbitterten Kämpfen dem Glitch anheim und sind – nun als Zeroes bekannt – die Hauptleute des Glitchs. Mit ihrer Hilfe gelingt es dieser Seuche endgültig, die Herrschaft über Tendoria an sich zu reißen. Cartridge Garden, die größte Stadt der Insel, ist die letzte Bastion der freien Pixons.
Die Aufgabe der Spieler ist es, sich den korrumpierten Helden, den Zeroes, zu stellen, sie zu besiegen und Tendoria zu befreien. Neben ihren alten Fähigkeiten und Kräften steht ihnen mit dem Hax eine mächtige, neue Fähigkeit zur Verfügung: den Code der Welt selbst zu manipulieren. Der Hax ist vielen Pixons unheimlich. Wer ihn anwendet, muss mit Anfeindung und Furcht rechnen. Manche munkeln sogar, der Hax hätte seinen Ursprung im Glitch.
Fate ‚n‘ Run
Wie die Namen und Beschreibungen nahe legen, strotzt Save Game nur so vor Anspielungen auf bekannte Computerspiele wie Mario Bros. oder Castlevania. Auch die speziellen Settingregeln geben Fate Core einen sehr Jump’n’Run-lastigen Touch. Die erste Änderung ist die Umbenennung von Fatepunkten in Münzen.
Münzen erfüllen die Funktion der Fatepunkte, können darüber hinaus aber zum Beispiel auch zum Kauf von Items verwendet werden. Auch der Machtlevel der Opposition wird direkt durch die dem Spielleiter zur Verfügung gestellten Münzen gesteuert. Generell geht Save Game sehr freigiebig mit Münzen um. Jeder ausgeschaltete Gegner belohnt den Spieler mit einer Münze. Durch Combos können die Spieler die Ausbeute noch weiter erhöhen – scheidet ein Spielercharakter aber während der Combo aus dem Konflikt aus, sind alle Münzen verloren.
Stress hat in der Computerspielwelt nichts verloren. Daher gibt es in Save Game keine Stressboxen sondern Herzchen. Diese funktionieren wie die Stressboxen in Fate Core, regenerieren sich aber nicht automatisch. Um sich wieder zu regenerieren, muss man entweder eine Dose Popa-Cola trinken, sich von einem Mitspieler heilen lassen oder ein Leben verlieren.
Das ist die dritte große Änderung des Settings: In einem Konflikt kann man keine Konsequenzen zur Schadensmigration verwenden – Computerspielcharaktere tragen nach einem Kampf schließlich auch keine längerfristigen Folgen mit sich herum. Kann ein Charakter also einen Treffer nicht mehr durch Herzchen abfangen, ist er aus dem Kampf. Er kann aber eines seiner drei Leben verwenden, um direkt wieder in den Konflikt einzusteigen. Hat ein Charakter keine Leben mehr zur Verfügung, hat man als Spieler die Wahl, den Charakter endgültig sterben zu lassen, oder langsam durch den Glitch zu korrumpieren und ihn so weiterhin im Spiel zu belassen.
Choose your destiny
Eigene Wege geht Save Game auch in der Charaktererschaffung. Gleichgeblieben sind das Hochkonzept und das Dilemma des Charakters. Bereits bei den Fähigkeiten geht das Setting schon eigene Wege – und die machen richtig Spaß!
Die Fertigkeitsliste erinnert an ein klassisches Point & Click Adventure mit insgesamt einem Dutzend Fähigkeiten wie Reparieren, Reden, Schlagen, Schießen oder Gegenstände. Auch die Fähigkeit Hax findet sich hier. Diese nimmt eine Sonderstellung ein, da Hax nur in Verbindung mit speziellen Hax-Stunts verwendet werden kann.
Jede Fähigkeit ist bei Charaktererschaffung nur für zwei der möglichen vier Fate-Aktionen (Angriff, Verteidigung, Überwinden und Vorteil erschaffen) frei geschaltet. So kann Reden zum Beispiel zu Beginn nur für Überwinden und Vorteil-erschaffen-Aktionen verwendet werden. An dieser Stelle kommen die Stunts ins Spiel.
Neben der angesprochenen Hax-Kategorie gibt es drei weitere Kategorien für die restlichen Fähigkeiten. Die erste Kategorie schaltet Fähigkeitsaktionen frei. Damit kann man beispielsweise Reden auch für Angriff oder Verteidigung freischalten und zukünftig für diese Aktionen nutzen. Die zweite Kategorie sind Verbesserungen. Hiermit können bereits freigeschaltete Aktionen verbessert werden. In der Regel wirkt sich das wie ein klassischer Stunt mit einem Bonus von +2 unter bestimmten Bedingungen aus. Die letzte Kategorie erlaubt es, einzelne Aktionen unschlagbar zu machen. Einmal pro Level ist der Einsatz der Fähigkeit ein sofortiger Erfolg mit Stil. Ohne Fragen und ohne Möglichkeit zu Blocken.
Jeder Charakter verfügt zu Beginn des Spiels über jeweils einen Stunt aus jeder Kategorie. Die besonders mächtigen Hax-Stunts erhält man in Abhängigkeit von der Hax-Fähigkeit. Sie benötigen immer eine Münze zur Aktivierung. Für diesen Preis erlauben sie es aber auch, die Spielwelt aus den Angeln zu heben. Die Effekte reichen hier über klassische Cheat-Code-Effekte (Unendliche Munition, Dauerhafter Rabatt im Shop) über Spieleffekte (Slow-Motion nach einem Faustangriff) oder Bugs (Teleportationen). Allen Stunts sind stimmige Namensvorschläge gemein, die den Stil des Settings hervorragend unterstreichen. Ein Upgrade zum schnelleren Rennen wird beispielsweise mit „Press (A) to Run Faster“ betitelt. Auf eine konkrete Ausgestaltung der spezifischen Wirkung dieser griffigen Titel wurde mit Ausnahmen von Beispielen bewusst verzichtet.
Finish him!
Das klassische Phasentrio zur Erstellung der Charakteraspekte wurde durch die Entwicklung von Signature Aspects ersetzt. Diese werden aus mehreren Begriffslisten erwürfelt. Die Begriffe umfassen eine riesige Bandbreite und decken so ziemlich jedes denkbare Computerspielgenre ab. Das ist aber gleichzeitig eine Schwäche dieser Methode. Beim Herumspielen mit dem Generator kamen Paarungen wie „Käse, Grabstein, Hai“ oder „Kristall, Kanalisation, Illusion“ zusammen. Die Ableitung eines Aspektes verspricht zwar sehr lustig zu werden, erfordert aber auch einiges an Kreativität und Hirnschmalz.
Selbstverständlich ist dieser Generator nur ein Angebot an die Spieler. Wer mag, darf natürlich auch den Helden aus dem eigenen Lieblingsspiel nachbauen.
Abschließend bietet Save Game noch eine kurze Einstiegskampagne, in der sich die Spieler den einstigen Helden von Tendoria stellen müssen. Die Kampagne ist in fünf Levels eingeteilt. Die Beschreibung ist gelungen, die Charaktere sind witzig und die Herausforderungen anspruchsvoll.
Insgesamt ist der Inhalt sehr vielversprechend, hat massig Potential und ist leider zu schnell zu Ende. Die Welt ist unheimlich fesselnd und macht Lust auf mehr. Um nach der Kampagne weiterspielen zu können, schließt der Band mit einigen Ideen zur Weiterentwicklung ab.
Preis-/Leistungsverhältnis
Mit „Zahl was du willst“ bewegt sich dieser Band natürlich im besten Preis-/Leistungssegment. Er wurde über eine Patreon–Kampagne finanziert und kann sich wirklich sehen lassen. Der vorgeschlagene Preis von vier US-Dollar ist für den gelieferten Inhalt für meinen Geschmack noch zu niedrig angesetzt. Meiner Meinung nach konkurriert der gelieferte Inhalt mit Vollpreisprodukten zwischen zehn und zwanzig US-Dollar.
Erscheinungsbild
Das Erscheinungsbild dieser World of Adventure ist erstklassig. Der Band ist hervorragend lesbar und verfügt über eine ordentliche Kontrastierung. Die Bilder sind passend zum Genre knallbunt, actiongeladen und aus einem Guss. Die dargestellten Figuren begleiten den Leser durch den gesamten Band und erzählen eine zusammenhängende Geschichte. Das Inhaltsverzeichnis ist voll verlinkt, ein Index fehlt jedoch leider.
Insgesamt ein außerordentlich hübsches Werk, das beim Blättern Erinnerungen an die eigene Konsolenzeit wieder aufleben lässt.
Fazit
Wow, was für ein Band! Save Game hat mich wirklich begeistert. Als leidenschaftlicher Konsolenspieler finde ich nicht nur die zahlreiche Hommagen an die Spieleklassiker meiner Jugend großartig. Nein, ich darf auch noch in die pixelige Welt meiner Fantasie eintreten. Die Insel Tendoria ist spannend beschrieben und lädt zum sofortigen Losspielen ein. Die zusätzlichen Regeln unterstützen den Arcade-Charakter des gesamten Settings und gerade die Signature Aspects machen jeden einzelnen Charakter zu etwas ganz Besonderem.
Doch nicht nur der Inhalt ist erstklassig, auch die grafische Gestaltung und nicht zuletzt die sagenhafte Preispolitik machen dieses Setting zu einer Pflichtlektüre für jeden Fate Core Fan!
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