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Venture City Stories - Shadowrun trifft Superhelden. Evil Hat liefert ein weiteres Schmankerl aus der Patreon-Schmiede und erschafft erneut eine Welt auf nur wenigen Seiten.
Ein Werkzeugkasten mit allem was man benötigt, um kreativ zu werden. Dank dem schlanken Regelwerk und der vorgefertigten Charaktere gibt es quasi keine Einstiegshürde.
Rezension: Venture City Stories (Fate) - Superhelden galore
Evil Hat schafft es, dank Patreon, nahezu monatlich ein neues Setting zu erschaffen. Die Liste der geplanten Settings bleibt trotzdem lang. Kreative Ideen gehen den klugen Köpfen scheinbar nicht aus und auch wenn ein Genremix, wie bei dem vorliegenden Werk, keine fundamentale Neuerung ist, regt sie doch meine Fantasie an. Superhelden lagen mir schon immer am Herzen und als Comicsammler und Serienverschlinger gibt es auch genügend Vorlagen, auf denen man aufbauen kann. Eine der grundlegenden Fragen in dem Superhelden-Genre ist oft, inwiefern der Mensch mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten nun eigentlich ein Held oder ein Bösewicht ist. Es steckt schließlich ein wenig von beidem in jedem Menschen und genau dieser Konflikt ist für mich das eigentlich Interessante: Was tut man mit so viel Macht?
Inhalt
Venture City Stories ist, wie bei den bisherigen Fate Core-Settings, ein schönes Grundgerüst, um darauf aufzubauen. Es bezeichnet sich selbst als Sandbox und eine Art Mini-Setting.
Im ersten Teil des Heftes wird auf die Venture City eingegangen und es werden die, für ein Abenteuer benötigten, Bedrohungen geliefert. Zur Erinnerung: Bei Fate dreht sich vieles um Aspekte, kurze Sätze, die einen Zustand oder eine Situation beschreiben. Die Bedrohungsaspekte einer Welt liefern die nötige Würze, um ein interessantes Abenteuer zu erleben. Es gibt „aufkommende Bedrohungen“ und „andauernde Bedrohungen“ - gedacht für entweder kurze Abenteuer, oder eben ganze Kampagnen. Es handelt sich dabei um Probleme, welche die Stadt betreffen und von den Spielern kurz- oder langfristig gelöst werden können.
Die Liste der Bedrohungen ist überschaubar und dient vor allem als Richtlinie für die eigenen Ideen. Zur Not kann man die Stadt aber immer von Maulwurfmann und seiner Untergrundarmee angreifen lassen. (Anm. d. Verf.).
Auf den folgenden Seiten werden dann Fraktionen und wichtige Charaktere der Stadt beschrieben. Fraktionen besitzen einen Slogan und ein Geheimnis, sozusagen das öffentliche Gesicht sowie ihre Schattenseite.
Soweit also nichts Neues, allerdings tauchen zwischen den Beschreibungen immer wieder blaue Textboxen auf und bilden zusammen eine kleine Geschichte namens „nothing ventured“. Auf diese Weise liefert Venture City Stories gleich ein Abenteuer mit, mit dem man in die Superheldenwelt starten kann. Meiner Meinung nach eine gute Variante, um ein Abenteuer zu präsentieren. Man spart sich ständiges Herumblättern und wird zeitgleich über die Hintergründe der Fraktionen/Charaktere informiert. Der gute Aufbau begünstigt natürlich das kompakte Werk und ermöglicht es dem Leser, sich geschmeidiger in die Welt zu denken. Durch die Beschreibungen der NSCs bekommt man außerdem ein gutes Gefühl für die Superkräfte und ihre Möglichkeiten.
Das Setting selbst hat einige Elemente von Shadowrun, verwendet aber an Stelle von Magie Superkräfte genetischer Herkunft. Einige Superhelden aktivierten ihr Gen durch extreme Erlebnisse oder Unfälle. Die meisten, die heute herumlaufen, sind allerdings hausgemacht: Eine große Firma namens Mitsuhama hat den Supergencode gefunden und eine Methode entwickelt, ihn zu aktivieren. Zwar haben viele andere Firmen den Vorgang kopieren können, jedoch hat Mitsuhama bisher die größten Erfolge verbuchen können und befindet sich an der Spitze der Forschung. Die Superhelden-Hersteller sind auch dafür verantwortlich, die Kräfte zu lizenzieren. Es ist selbstverständlich verboten, eine unregistrierte Superkraft zum Einsatz zu bringen und für eventuelle Kollateralschäden wird man selbstverständlich zur Kasse gebeten. Die registrierten Superhelden wiederum bringen auch nur denjenigen Recht und Ordnung, die es sich leisten können.
Mitsuhama und seine Konkurrenten haben offensichtlich eine Methode gefunden, ihre selbstgeschaffenen Superhelden in Schach zu halten und auf der Straße ist bekannt, dass das aktivierte Gen wohl eben so leicht wieder ausgeschaltet werden kann. Genau so schnell verschwunden sind dann sehr wahrscheinlich Ruhm und Reichtum.
Nach den Beschreibungen und dem Abenteuer folgt nun die Charaktererschaffung. Es mag seltsam erscheinen, das an den Schluss des Heftes zu legen, aber es hilft, denke ich, dass man zuvor einen Eindruck vom Ausmaß der Kräfte bekommt. Die Charaktererschaffung funktioniert genau wie bei Fate Core. Eine Abweichung gibt es bei den Superkräften. Die Mechanik gestaltet sich so, dass man drei zusätzliche Stunts erhält, um sich eine Superkraft zu erschaffen. Regeltechnisch wird das in Fate Core als Extra bezeichnet. Die Kraft selbst besteht dann aus mehreren Stunts, die man auch mit seinen normal verfügbaren Stunts befüllen kann, um sie mächtiger zu machen. Weiterhin haben die Kräfte sogenannte Spezialeffekte. Spezialeffekte sind Bonuseffekte, die eintreten können, wenn man einen Erfolg mit Stil geschafft hat. Beispielsweise kann man bei einem besonders harten Superschlag entscheiden, sein Opfer zwei Zonen weit zu bewegen oder eine automatische mittlere Konsequenz anzuhängen. Jede Kraft besitzt zwei Spezialeffekte und man kann für je einen Stunt noch zwei weitere hinzukaufen.
Natürlich hat ein Superheld auch seine Nachteile, es wäre ja sonst langweilig. Jeder wählt „sein Kryptonit“ oder einen vergleichbaren Effekt, wie beispielsweise Kontrollverlust oder Burn-out nach dem Verwenden der Kraft. Ein weiterer cooler Effekt ist der Kollateralschaden. Wenn der Spieler sich entscheidet, dass ihm seine Umwelt egal ist, kann er alles aus seiner Superkraft herausholen und teilweise extreme Effekte hervorrufen. Da freut sich die Haftpflichtversicherung.
Es wird geraten, maximal zwei Kräfte zu verwenden, da Superkräfte im Spiel durchaus komplexe Implikationen haben können. Anhand der teilweise vorgefertigten Charaktere mit Kraftbeispielen, sowie Fertigkeitsvorschlägen kann man sich schnell und einfach einen Superhelden erschaffen.
Preis-/Leistungsverhältnis
Der vorgeschlagene Preis beträgt 4 USD und das Supplement ist ansonsten frei verfügbar auf der Zahl-was-du-willst-Basis. Es ist also bei dem Käufer selbst zu entscheiden, was es ihm wert ist.
Erscheinungsbild
Das bewährte Design von Evil Hat findet sich auch in diesem Setting wieder. Die Schriftgröße ist auf verschiedenen Geräten angenehm les- und skalierbar. Weiterhin ist das gesamte Dokument verlinkt, sowohl das Inhaltsverzeichnis als auch diverse Schlagworte im Text. Bemerkenswert schön finde ich die vollfarbigen Zeichnungen, die es dem Leser ermöglichen, einfach in die Welt der Superhelden einzutauchen. Sie rufen Erinnerungen an so manchen bekannten Helden aus dem ein oder anderen Universum hervor. Was mir auch immer wieder bei Evil Hat-Produkten auffällt, ist die ethnische Vielfalt der Charaktere und die gute Porträtierung wirklich starker Frauen. Mit Sicherheit ein guter Zug für so manche(n) Spieler(-in) und eine willkommene Abwechslung fürs Auge.
Fazit
Venture City Stories schafft es, in einem schlanken Format eine gute Grundlage für ein Superhelden-Setting zu liefern. Es gibt einige schöne Ideen zu Erweiterung der Fate Core-Mechaniken um Superkräfte darzustellen und sogar ein kleines Abenteuer wird mitgeliefert. Die einzige Schwäche ist der Mangel an dargestellten Optionen und die Kürze des Werkes.
Das Setting selbst spielt mit der Idee, dass in Zukunft Konzerne herrschen werden und diese auch noch die Kontrolle über einen großen Teil der Superkräfte besitzen. Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten für Charaktere, die eigentlich „over the top“ sind, trotzdem aus verschiedenen Schichten zu kommen und genügend Konfliktpotenzial für so manche dramatische Auseinandersetzungen. Alles in allem ist es einen Blick wert und kann für ein paar schöne Runden sorgen.
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