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Mit diesem Spiel hat es ein weiteres Kickstarter-Projekt erfolgreich bis zur Umsetzung geschafft. In diesem Settingband für Fate Core bereisen die Spieler als Kung-Fu-Künstler, wohlhabende Händler oder warmherzige Mönche die gefährliche Grenzprovinz des Reiches. Zahlreiche Abenteuer in rechtlosem Raum erwarten die Männer und Frauen des Grenzgebietes. Zu ihrer Verteidigung können sie auf mächtige Kung-Fu-Techniken zurückgreifen. Techniken, bei denen selbst Bruce Lee oder Jackie Chan der Atem stocken würde. Willkommen zu Tianxia: Blood, Silk & Jade.
Inhalt
Mit Tianxia erscheint für Fate Core bereits das zweite Wuxia-Setting. Tianxia entführt uns nach Shenzhou, einem fiktiven Staat, der dem imperialen China nachempfunden ist. Aus mystischer Sicht existieren drei große Religionen innerhalb des Reiches: Der Legalismus, der dem Konfuzianismus nachempfunden wurde; die Jünger Bodhisattvas, die den Buddhismus als Vorbild haben sowie die Anhänger des Tao, die, wenig überraschend, ihre Wurzeln im Daoismus haben. Die Vorstellung der einzelnen Religionen wurde auf wenige Grundprinzipien beschränkt, um Gläubigen der echten Religionen nicht versehentlich auf die Füße zu treten. Ebenso wie sein Vorbild aus der realen Welt, ist Shenzhou ein Kaiserreich. Zahlreiche Handelswege durchziehen das Land, um kostbare Waren, wie zum Beispiel die Namen gebenden Handelswaren Seide und Jade, in die Hauptstadt zu transportieren. Die Rolle der Frau ist im Vergleich zur historischen Vorlage wesentlich liberaler. Frauen können die gleichen Aufgaben übernehmen wie Männer und auch homosexuelle Partnerschaften werden allgemein akzeptiert.
Das Reich besteht aus insgesamt neun unterschiedlichen Provinzen, aber nur die Provinz Jiangzhou wird in dem Settingband näher besprochen. Dieses wilde und gesetzlose Gebiet ist durch den schwunghaften Handel ein sehr attraktives Pflaster für allerlei Volk. Auf den Lebensadern, dem Seidenfluss und der Jadestraße, gibt es großen Bedarf an abenteuerlustigen Männern und Frauen. Große Handelsketten, verschlagene Diebesbanden, mysteriöse Kulte und verschwiegene Kampfkunstschulen bilden ein explosives Gemisch, das nur auf die Einmischung vorlauter Spieler wartet.
Die Beschreibung Jiangzhous vermittelt die Situation in der Provinz recht anschaulich, jedoch bleiben die Ausführungen sehr vage. Lediglich Bao Jiang, die größte Stadt der Provinz, wird detaillierter beschrieben. Die beschriebenen Charaktere sind glaubhaft und immer mit etwas Hintergrund versehen. Insgesamt wird eine glaubhafte Welt umrissen, die aber leider etwas zu vage gehalten ist, um ohne viel Vorbereitung ins Spiel einsteigen zu können.
Die Charaktererschaffung hat nur wenige Neuerungen gegenüber Fate Core zu bieten. Zum einen beginnen die Charaktere durch einen gestiegenen Grundwert an Schicksalspunkten das Spiel etwas mächtiger. Zum anderen erhalten sie Zugang auf die neue Fähigkeit Chi, die die mentale Ausgeglichenheit eines Charakters beschreibt.
Es ist jedem Charakter mit Chi möglich, eine Chi-Rüstung, eine Art übernatürlichen Schutzpanzer, zu erschaffen, der physischen Schaden vom Charakter abhalten soll. Dies ist ein Automatismus, der zu Beginn jeder Auseinandersetzung als freie Aktion ausgeführt werden darf. Es ist natürlich auch möglich, Charaktere ohne Kenntnis in Kung Fu zu erstellen, dies ist aber ausdrücklich nicht empfehlenswert. Je besser ein Charakter in den Kung-Fu-Künsten bewandert ist, desto höher ist sein Jianghu–Rang, ein grober Maßstab, an welcher Position der Charakter in der Hackordnung der Provinz steht.
Ein besserer Kung-Fu-Kämpfer kann seine Gegner davon abhalten, gegen ihn zusammenzuarbeiten, er erhält freie Anwendungen auf seinen Kung-Fu-Aspekt und erschwert es seinen Gegnern, eine Chi-Rüstung zu entwickeln.
Eine besondere Erwähnung verdienen auch die Kung-Fu-Regeln von Tianxia. Für einen Punkt des Grundwertes darf der Charakter einen Kung-Fu-Stil wählen und seine erste Technik erhalten. Durch die Ausgabe weiterer Schicksals- oder Stunt–Punkte können weitere Techniken gekauft werden. Hat ein Spieler alle sechs Techniken seines Stiles als Stunts erlernt, kann er während eines bedeutenden Meilensteins auf die Erhöhung eines Grundwerts verzichten, um die Meisterschaft eines Stils zu erlangen und damit die dazu gehörige geheime Technik zu erlernen.
Bemerkenswert ist auch, wie ein eigener Stil gewählt wird. In einer Art Baukastensystem kombiniert man ein Element mit einem Tiersymbol. Jedem Element und jedem Tier sind jeweils drei Techniken zugeordnet. Als Elemente existieren Wald, Geist, Eisen, Blitz, Stein und Sturm. Stilgebende Tiere sind Kranich, Drache, Affe, Phönix, Schlange und Tiger. Der daraus gebildete Aspekt darf durchaus poetischer formuliert werden, solange die Herkunft noch erkennbar ist. Der Stil Waldaffe darf also durchaus auch mit einem poetischen Titel wie zum Beispiel Der Affe steigt auf den Baum umschrieben werden. Auch weitere Besonderheiten wie z.B. Letzter Überlebender der Sturmdrachen-Schule können einzelnen Stilen in der Kampagne eine besondere Rolle einräumen. Zu diesen gewöhnlichen Techniken kommen für jeden Stil noch eine weitere geheime Technik sowie noch ein paar verlorene Techniken hinzu. Gerade diese verlorenen Techniken können unabhängig der gewählten Stile erlernt werden und dienen der weiteren Individualisierung der Charaktere. Nach der Vorstellung einiger beispielhafter Charaktere widmet Tianxia dem Spielleiter ein ausführliches Kapitel. Hier wird erklärt, wie die im Fate Core beschriebenen Grundregeln zur Kampagnenerstellung auf Tianxia umgestaltet werden. Als Beispiel werden einzelne Kernthemen des Genres hervorgehoben. Auch der Umgang mit Niederlagen verdient ein eigenes Kapitel. Ein Kapitel über die mögliche Opposition sowie eine Liste mit Inspirationsquellen aus Film und Literatur runden den Spielleiterbereich ab.
Preis-/Leistungsverhältnis
Für 15 USD erhält man einen liebevoll gestalteten Settingband, der gemeinsam mit dem Fate Core–Grundregelwerk zu vielen spannenden Geschichten einlädt. Neben der liebevollen Aufmachung, stimmungsvollen Grafiken und dem oben beschriebenen Inhalt bleiben kaum Wünsche offen. Insgesamt ist das Preis-/Leistungsverhältnis ein Vergleich auf Augenhöhe. Es werden zwar keine Informationen verschenkt, aber der Leser wird auch nicht über den Tisch gezogen.
Erscheinungsbild
Der Band präsentiert sich ansprechend. Der Hintergrund ist schlicht und zugunsten der Lesbarkeit wurde auf eine aufwändige Hintergrundgrafik verzichtet. Die Kapiteleinstiegsseiten werden hingegen durch einen roten, edel gehaltenen Hintergrund hervorgehoben und mit schönen Zeichnungen untermalt. Randinformationen werden entweder in einem dunklen Grau oder dunklem Rot präsentiert. Aspekte werden im laufenden Text rot dargestellt und fallen daher sofort ins Auge. Insgesamt sind die Texte sehr gut zu lesen, nur die Kapiteleinstiege sorgen durch ungünstige Kontraste ab und an für Lesefrust.
Die Qualität der Zeichnungen ist überdurchschnittlich und fängt den Geist des Settings sehr gut ein. Dabei ist der comichafte Stil das ausschlaggebende Merkmal. Damit ist deutlich zu spüren, dass das Setting sich selbst nicht so ernst nimmt, sondern vielmehr kinoreife Aktion und Spaß in den Vordergrund stellt.
Das Inhaltsverzeichnis ist voll verlinkt und auch in der Datei zur Navigation hinterlegt. Leider gilt dies nicht für den Index und auch im Text angesprochene Verweise sind nicht verlinkt.
Insgesamt ein sehr gelungener Band, der leider noch nicht vollständig im medialen Zeitalter angekommen ist.
Fazit
Mit Tianxia bekommt man ein solides Wuxia-Setting ohne große Schnörkel. Die Welt ist liebevoll gestaltet, die Regelerweiterungen sinnvoll, ohne übermäßig kompliziert zu werden, und der Schauplatz bietet Zündstoff für viele spannende Geschichten. Die grafische Aufmachung ist sehr gut, die Illustrationen stimmungsvoll und inspirierend. Technisch patzt die PDF-Datei leider, indem Seitenangaben im Text und im Index nicht verlinkt wurden.
Wie bei den meisten Fate Core–Settings, ist ein direktes Losspielen nicht möglich, da die Kampagne auf die Charaktere zugeschnitten sein sollte. Im Spielleiterbereich befinden sich aber genug Ideen, mit denen eine Kampagne in Gang gebracht werden kann.
Leider wird zu keiner Zeit die Aussprache der Wörter lautmalerisch dargestellt, weshalb je nach Aussprache die einzelnen Begriffe sehr ähnlich klingen. Gerade bei Namen wie Shenzhou, Jiangzhou und Jianghu ist die Verwechslungsgefahr schon sehr groß.
Für die Zukunft sind zusätzliche Materialien geplant. Im Rahmen der Kickstarter-Kampagne wurden bereits einige Bestandteile wie ein Lifepath Generator erstellt und befinden sich bereits im Test. Weitere freigeschaltete Stretch Goals sind Settingbände zu den nördlichen und südlichen Provinzen sowie ein Sonderband für ein spezielles Kung-Fu-Magiesystem. Es bleibt also spannend in der Welt von Tianxia.
Für Fans des Genres lohnt sich Tianxia auf jeden Fall, aber auch Genreneulinge können durchaus einen Blick riskieren.
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