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Was passiert, wenn man Konzepte von White Wolfs World of Darkness mit einem humorigen Superschurkenspiel mischt? Wenn Superschurken von Dämonen gepeinigte Seelen sind, die nach Macht und Menschlichkeit streben? Und was, wenn diese Dämonen auch noch von dem Spieler neben einem dargestellt werden?
Greg Stolze ist für Spieler der World of Darkness absolut kein unbeschriebenes Blatt. Er schrieb einige wichtige Quellenbücher für Vampire: The Requiem und Demon: The Fallen und verfasste auch einige Romane, die in White Wolfs düsteren urbanen Schattenwelten angesiedelt sind. Aber Stolze ist ein umtriebiger Geist, und so machte er sich daran, einige seiner Erfahrungen mit einem abenteuerlichen neuen Setting zu verknüpfen. Dabei lässt er die Dunkelheit hinter sich und präsentiert ein Szenario, das mehr an Kick-Ass erinnert als an Vampire.
Die Spielwelt
Wir befinden uns in einer knallig-bunten Variante unserer Welt, mit Superhelden und Superschurken, die sich zwischen Hochhäuserschluchten erbitterte Gefechte liefern. Dabei sind die Schurken sogenannte „Hellbound“, also von Dämonen mit unglaublichen Kräften ausgestattet und zum Bösen verführt. Sie kämpfen also nicht nur gegen die Helden, sondern auch gegen die Monster, die drohen, ihre Seele in die Hölle zu reissen. Zudem haben die Engel auch noch ihre eigene Agenda in der Welt und stellen sich den Spielercharakteren in den Weg. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als den schonungslosen Kampf des Guten gegen das absolute Böse. Und Böse heißt hier Superböse. Die Schurken lobpreisen ihre genialen, teuflischen Pläne und lachen ihr diabolisches Lachen, wie es sich sonst nur in völlig überzeichneten Comicwelten wie denen von Mark Millar vorkommt.
Und auch die Helden sind nicht ohne. Da ist der Pflasterer, der mit seiner Planiermaschine alles platt walzt, der mysteriöse Page, der zwischen den Türen jedes Verbechensschauplatzes auftaucht und viele andere skurrile Gestalten und schräge Vögel. Stolzes Spielwelt nimmt sich absolut nicht ernst. Sie ist die Nische in der Nische in der Nische. Kein Superheldenspiel, sondern eine Superschurkenspiel, noch dazu mit Dämonen und Engeln, das zudem auch noch auf Humor und Karikatur setzt – das ist harter Tobak und absolut trashig. Es braucht eine sehr spezielle Spielerschaft, um sich auf dieses absolut verrückte Spielabenteuer einzulassen.
Die Regeln
Der Trashfaktor wird durch das spielerische und regeltechnische Konzept des Spiels unterstützt. Zunächst weist der Charakterbogen eine gewisse Ähnlichkeit zu Demon: The Fallen auf. Da sind der brennende Schriftzug und die sehr charakteristischen Kreise, die jeder WoD-Spieler vom Ausfüllen seiner Attributpunkte kennt. Und tatsächlich funktioniert das Regelsystem sehr ähnlich wie das der WoD. Die Punkte in jedem Attribut stehen für eine Anzahl von Würfeln, die dem Spieler zur Verfügung stehen. Mit diesen zehnseitigen Würfeln wird gegen Zielzahlen gewürfelt, die es zu erreichen gilt. Das System ist also bekannt, es ist simpel und hat sich in der Vergangenheit bewährt.
Doch wer genau hinschaut, der erkennt eine Besonderheit: Die Attribute, hier „Strategies“ genannt, sind unterteilt in drei Kategorien und jeder der Kategorien gehören jeweils zwei untergeordnete Attributpaare, hier „Tactics“ genannt, an. Dabei kommen diese Attribute jeweils in Paaren. Einem negativen, diabolischen Wert, steht ein tugendhafter Wert entgegen. So wiegen sich Geiz und Großzügigkeit, Spionage und Wissen, Grausamkeit und Mut, Feigheit und Ausdauer, Korruption und Sorge, Täuschung und Ehrlichkeit jeweils gegenseitig auf. Natürlich ist es gut, diese Werte weitestgehend im Gleichgewicht zu halten, aber das ist nahezu unmöglich. Werte können im Lauf des Spieles steigen, sinken oder rutschen.
Das Rutschen ist ein großartiges Konzept, um den ständigen Kampf um Balance in den Charakteren auszudrücken. Wird ein Charakter zum Beispiel verletzt, sinkt sein Mutwert. Gleichzeitig aber steigt sein Wert in Grausamkeit entsprechend an. Das Böse hält den Charakter fester in seinem unnachgiebigen Griff. Sehr schön!
Jedem Charakter steht eine große Liste an dämonischen Kräften, teuflischen Waffen und teuflischen Aspekten zur Verfügung. Kräfte werden durch einen Wurf auf die entsprechende Strategie zuzüglich der passenden Taktik aktiviert. Einfach, simpel und schnell. Genau so muss ein Spiel mit diesem Konzept funktionieren.
Das mutigste Element, dass Stolze aus der WoD importiert hat, ist das Element des Dämons. Denn jeder Spielercharakter hat so einen bösen kleinen Gefährten in sich, der ihn lockt, verführt und manipuliert, ihm Versprechungen macht, mit Kräften versorgt…und fallen lässt, wenn es ihm passt. Dieser Dämon wird, ähnlich wie erfahrene Spieler es von Wraith: The Oblivion kennen, von einem Mitspieler gespielt.
Das kann zu großartigen Spielsituationen führen. Meine Erfahrungen mit Wraith zeigen allerdings, dass das nur mit sehr wenigen Spielern funktioniert. Einige lieben es zu sehr, ihr Gegenüber durch den Dämon zu quälen und zu nerven. Andere entwickeln mehr Spaß an der Darstellung des Dämons als am eigenen Charakterspiel. Und einige sind in der Darstellung des Dämonen einfach zu überzeugend und lassen ihrem Menschen keine Chance. Es braucht also sehr erfahrene, sehr reife und tolerante Spieler, um eine solche Spielmechanik wirklich sinnvoll umzusetzen. Das nennt Stolze selbst „Sadismus light“. Damit wird das Spiel noch etwas mehr zum Nischenprodukt, wenn das noch möglich ist.
Charaktererschaffung
Die Charaktererschaffung erfolgt über ein Punktekaufsystem und ist sehr einfach gehalten. Sie weist allerdings eine sehr spannende Besonderheit auf, denn man kauft nicht nur eigene Charakteristika, Kräfte und Dämonenaspekte, sondern kauft diese auch für den Charakter, dessen Dämon man übernimmt. Der arme Spieler muss sich dann überlegen, wie es zu diesen Kräften gekommen ist.
Das geht natürlich mit einem diebischen Vergnügen einher, weil man seinem Gegenüber ja nicht nur Positives aussucht. Macht man sich aber bewusst, dass man ein kooperatives Rollenspiel spielt, haut man seinen Menschen auch nicht völlig in die Pfanne, sondern wählt auch einige wirklich coole Kräfte für ihn. Es macht Freude, den Gesichtsausdruck seines Menschen zu beobachten, wenn man ihm die Liste präsentiert. Gleichzeitig weiß man, dass ihm selbst das gleiche Vergnügen bei einem anderen Spieler bevorsteht. Die Charaktererschaffung dauert nicht lang, nach wenigen Minuten ist man fertig.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht
Dem Spielleiter kann es sehr helfen, wenn er über einige Comic-Erfahrung verfügt, sich selbst nicht zu wichtig nimmt und die Charaktere in den Mittelpunkt der Abenteuerplanung setzt. Da das Setting im Grundbuch nicht sehr ausführlich besprochen wird, benötigt er eine ganze Menge Kreativität. Schnell wird er feststellen, dass es zwar sehr einfach ist, einen Superheldenfilm zu genießen, aber wesentlich schwerer, einen solchen zu erzählen, vor allem, wenn der Humor dazukommen soll. Und ohne diesen Humor funktioniert Better Angels einfach nicht.
Es hilft, wenn der Spielleiter die Spieler bei der Charaktererschaffung begleitet und die Geschehnisse aus den Motivationen ihrer Charaktere gestaltet. Denn die Motivationen von Schurken sind nun einmal schwerer zu greifen und zu lenken als die von Helden. Spielleiter in diesem System kann ein Knochenjob sein. Zumal man auch darauf achten muss, dass die Spieler mit ihren Menschen und Dämonen fair umgehen. Läuft das aber erst einmal und die Spieler haben einen Sinn für die Figuren entwickelt, kann Better Angels gerade durch die Interaktion zwischen Menschen und Dämonen zu einem Selbstläufer werden, bei dem man Tränen lachen kann.
Spielbarkeit aus Spielersicht
Better Angels zu spielen, ist für den Spieler eine sehr ungewöhnliche Spielerfahrung, vor allem, wenn er noch keine Erfahrungen mit Wraith: The Oblivion gesammelt hat. Die Abenteuer, die das Spiel bietet, sind spritzig und frisch. Der Spieler wird also gut unterhalten. Ein Problem entsteht für all die Spielertypen, die aus verschiedenen Gründen gern die volle Kontrolle über ihre Spielfigur behalten, denn diese verliert man durch das Konzept des mitspielergeführten Dämonen schon bei der Charaktererschaffung. Das ist die Hölle für alle Method Actor, denn Immersion ist nur noch schwer herzustellen. Der Spieler betrachtet das Geschehen immer wieder von der Meta-Ebene, da er ja nicht nur den eigenen Charakter, sondern auch einen Aspekt einer weiteren Spielfigur verkörpert. Der Min-Maxer, also der Spieler, der seine Punktevergabe gerne buchhalterisch plant, um eine möglichst leistungsfähige Figur zu erhalten, erfährt sein Armageddon dadurch, dass ein Mitspieler Teile seines Charakters punktet.
Es braucht also reife, erfahrene Spieler mit einem ganz klaren, partnerschaftlichen Spielansatz, um erfolgreich spielen zu können. Auf weitere Probleme in der Darstellung des Dämonen wurde oben bereits eingegangen. Der Spieler muss mit einer großen Fairness und einem Sinn für Humor ausgestattet sein, der es zulässt, auch schon einmal durch einen Mitspieler zum Affen gemacht zu werden. Gleichzeitig muss er leichte Frotzeleien ertragen können und nicht nachtragend sein.
Ist das gegeben, ist Better Angels ein tolles Spiel, dass dem Spieler einen großen Einfluss auf das Gesamtgeschehen überlässt. Über den Dämon lassen sich ganze Handlungslinien forcieren oder überhaupt erst eröffnen. Die Spielwelt sorgt für eine angenehme, stimmige Atmosphäre. Das Regelsystem erlaubt ein schnelles und reibungsloses Spiel.
Erscheinungsbild
Das PDF ist gut konzipiert und stimmig gestaltet. Durch das klare Inhaltsverzeichnis und das Glossar am Ende des Buches ist die Orientierung leicht. Für zusätzliche Übersicht sorgt ein Cheat Sheet, das noch einmal die wichtigsten Mechanismen am Ende des Buches zusammenfasst. Das Werk ist geziert von wunderbaren und stimmungsvollen Comic-Zeichnungen, die schon beim ersten Lesen ein klares und lebendiges Bild der anvisierten Spielatmosphäre vermitteln. Extrem ausführlich ist das Spielbeispiel geraten, das ebenfalls hilft, diese Atmosphäre zu verstehen.
Fazit
Greg Stolze hat die Nische in der Nische der Nischen belegt mit seinem Superschurken-Dämonen-Humor-Rollenspiel. Irgendwo zwischen Kick-Ass, Marvel und Demon: The Fallen angesiedelt, bietet dieses Spiel ein Setting, das spezieller kaum sein könnte. Doch damit nicht genug, benötigt es durch den Ansatz, dass jeweils ein Spieler den Dämonen spielt, der den Charakter eines anderen Spielers antreibt, einen sehr reifen, aber nicht zu sehr auf Immersion konzentrierten Spielertyp. Denn Immersion wird schwierig, da der Spieler sich immer auch ein wenig auf der Meta-Ebene bewegt.
Spieler, die sich auf dieses Wagnis einlassen, werden mit einem erfrischend spritzigen Spielerlebnis belohnt, dass sie sehr stark zu treibenden Faktoren des Spielgeschehens werden lässt. Spielleiter können sich auf eine neue Erfahrung in der Beobachtung der Spielerinteraktion gefasst machen. Sehr gelungen ist die Tatsache, dass durch das Rutschen von Strategies und Tactics die Spielmechaniken bereits das Thema Balance aufgreifen, das für das Spiel so bedeutsam ist. Better Angels ist ein höllischer Superhelden-Trip. Leider ist die Spielwelt im Grundbuch nur angerissen. Aber in weiteren Publikationen darf man sich auf einiges gefasst machen.
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