http://www.teilzeithelden.de
Als drittes Werk beim Indie-Spotlight werfen wir einen Blick auf das im Februar 2013 erschienene Lightweight RPG von Schrader Heavy Industries.
Es verkauft sich als regelleichtes generisches System, welches sich auf kooperatives Erzählspiel und ein schnelles Spielerlebnis konzentriert. Das Spiel richtet sich auch an Neulinge und soll One-Shot als auch kampagnentauglich sein. Des Weiteren soll man es leicht an seine eigenen Anforderungen anpassen können und es auch gut online oder auf Conventions spielen können.
Große Worte: ob es diese an sich gesteckten Ziele erfüllt, könnt Ihr hier nachlesen.
Erscheinungsbild
Das PDF besteht aus schlanken 47 Seiten. Es hat keine digitalen Lesezeichen oder einen Index. Volltextsuche und Copy/Paste sind aber möglich. Am Ende des Buches findet man die „Pocket Rules“, eine Zusammenfassung der Regeln auf einem Blatt, Beispielcharaktere und ein Glossar.
Das Layout ist schlicht und übersichtlich: Lesbare Schrift, gute Aufteilung durch Überschriften, Fettgedrucktes und farbliche Textboxen.
Das Buch wird durch vollfarbige Kapitelbilder und gelegentliche comichafte Illustrationen aufgelockert. Der Stil gefällt mir sehr gut, weil er einen schrägen Humor vermittelt.
Die Spielwelt
Da es sich um ein generisches Regelwerk handelt, hat das LWRPG keine eigene Spielwelt. Ich hätte mir ein paar Beispielssettings gewünscht, da sich das Spiel auch an Neulinge richtet.
Die Regeln
Nach einem Einführungskapitel, in dem u.a. erklärt wird, was ein Rollenspiel ist, kommen wir zu den Regeln.
Das LWRPG ist traditionell aufgebaut und besitzt klassischen Regeln für Eigenschaftswürfe und Kampf. Das Regelsystem basiert auf einem zehnseitigen Würfel, es gibt jedoch eine alternative Option für 2W6.
Die Attributswürfe sind einfach gehalten: Der Spieler würfelt einen W10 und addiert sein entsprechendes Attribut und eine passende Fertigkeit, soweit vorhanden. Er muss dabei gegen eine feste Schwierigkeit würfeln. Die vorgeschlagenen Schwierigkeitsstufen liegen bei 5 (einfach), 10 (herausfordernd) und 15 (gewaltig).
Es gibt auch vergleichende Würfe gegen Gegner, der höhere Wurf gewinnt. Der Spielleiter kann einer Seite einen Bonus oder Malus geben, sollten es die Umstände verlangen.
Die verfügbaren Attribute sind Strength, Intelligence, Cunning, Luck und Bravery.
Die Kampfregeln sind ebenfalls klassisch: der Kampf läuft rundenbasiert ab und es gibt Regeln für miniaturenbasierte Bewegungen. Die Nutzung einer Battlemap bietet sich an.
Die Initiative wird zu Beginn des Kampfes festgelegt. Der Spieler kann verzögern. Ein Charakter kann sich pro Runde bewegen und angreifen oder sich die doppelte Reichweite bewegen.
Wenn man schleicht (Stealth) oder eine Fernkampfattacke wirkt, darf man nur die halbe Bewegungsrate nutzen.
Ein Angriffswurf wird über einen W10 mit entsprechenden Attributen und Fertigkeiten abgehandelt. Ein Ergebnis von 5 und niedriger ist ein Fehlschlag, ein Ergebnis von 6 und höher ist erfolgreich.
Eine gewürfelte 1 ist grundsätzlich ein Fehlschlag. Bei einer erfolgreichen Attacke muss sich der Gegner mit einem Verteidigungswurf (resolve roll) wehren. Dies ist ebenfalls ein W10 plus entsprechende Attribute.
Wenn der Angriffswurf den Verteidigungswurf übersteigt, geht der Gegner nieder. Er kann in diesem Kampf nicht mehr handeln, es sei denn, er stellt seine Resolve durch Heilung wieder her. Bei einem Gleichstand oder wenn der Verteidigungswurf (resolve roll) höher ist, bleibt der Gegner stehen, nimmt aber Schaden. Schaden reduziert die Resolve und damit die darauffolgenden Verteidigungswürfe.
Der Kampf endet, wenn die Mitglieder einer Seite niedergegangen sind oder fliehen. Interessant finde ich hier, dass die regelmechanische Seite den tatsächlichen Charaktertod nicht abbildet.
Aufgelockert wird dieses starre System durch die Nutzung von Fertigkeiten. Einige dieser Fertigkeiten kann man im Kampf benutzen, um eine einzelne Kampffähigkeit zu erhöhen (Boost).
Eine Fertigkeit kann im Kampf „verbraucht“ werden, um den doppelten Bonus zu erhalten. Diese Mechanik führt ein taktisches Element in den Kampf ein.
Ein Charakter kann den Bonus seiner Fertigkeit auch auf einen anderen Charakter oder die Gruppe wirken (buffing).
Heiler können die Resolve um 6 (Nahkampfreichweite) bzw. um 3 (auf Entfernung) erhöhen. Alle Abenteuer können erste Hilfe leisten und sich selbst oder ein angrenzendes Ziel um 1 heilen.
Ein Kampf beim LWRPG läuft flüssig und schnell ab. Die Regeln sind einfach und die zu würfelnden Werte stehen auf dem Charakterbogen und können daher schnell bestimmt werden. Positiv sehe ich die einheitliche Nutzung eines W10 bzw. 2W6.
Insgesamt macht das Regelsystem jedoch den Eindruck, als ob man ein altmodisches Spiel mit ein paar Optionen aus neueren Regelwerken ausgestattet hätte.
Das Spiel hat fast nur Regeln für Kampfsituationen, aber ausführliche Kampfoptionen, wie man sie in taktischen Rollenspielen findet, fehlen hier.
Das LWRPG hat auch keine Regeln, die das Erzählrollenspiel explizit fördern. Das soll nicht heißen, dass es nicht möglich ist, damit spannende Geschichten zu spielen, aber dies müssen die Spieler ohne innovative Regelmechanik ,wie sie vielen Indie-Rollenspielen zu eigen ist, bewältigen. Auch die Rollenverteilung zwischen Spielleiter und Spieler ist ganz klassisch.
Eine besondere Eignung für Onlinespiel oder Conventions konnte ich nicht finden. Kampagnenspiel ist durchaus möglich, der Spieler erhält sog. Boons, die wie Fertigkeiten funktionieren.
Positiv bewerte ich den Aufbau des Regelwerks, der sehr strukturiert ist und somit auch dem Rollenspielneuling einen guten Einstieg ermöglicht. Ich musste nicht viel rumblättern, um das Spiel zu verstehen. Zudem haben die Herausgeber sich die Mühe gemacht, die Regeln auf einer Seite als „Pocket Rules“ zusammenzufassen, so dass man den Spielern eine praktische Übersicht in die Hand geben kann.
Charaktererschaffung
Bei der Charaktererschaffung weicht das Regelwerk ein wenig von seiner traditionellen Ausrichtung ab, ist aber nicht so abstrakt und freiform wie einige moderne Rollenspiele.
Die Charaktererschaffung ist punktebasiert: Man hat 15 Punkte zur Verfügung, die man auf die o.g. Attribute verteilen kann.
Danach muss man sich die Fertigkeiten überlegen. Man startet mit fünf Fertigkeiten: 2 Fertigkeiten mit+1, 2 Fertigkeiten mit +3 und eine Fertigkeit mit +5.
• Generelle Fertigkeiten (+1) sind grob formuliert und geben einen Bonus auf Aufgaben oder Attacken mit einem weiten Spektrum.
• Spezifische Fertigkeiten (+3) sind auf eine geringere Bandbreite von Situationen anwendbar, geben dafür aber einen höheren Bonus. Sie kennzeichnen sich oft dadurch aus, dass sie eine Kondition besitzen, z.b. im Kampf nur mit einer bestimmten Waffe benutzbar.
• Die Signaturfertigkeit (+5) ist eine sehr spezifische Fähigkeit mit einem limitierten Anwendungsbereich. Oft handelt es sich um eine Spezialattacke.
Als Kategorisierung wird zudem in Kampffertigkeiten, Nichtkampffertigkeiten und flexible Fertigkeiten unterschieden. Das Kapitel enthält einige Beispiele, um die Unterschiede zu verdeutlichen.
Mir gefällt die freie Form der Fertigkeitserstellung sehr gut, da man seinen Charakter so seinen Wünschen und dem Setting anpassen kann. An dieser Stelle ist das Fingerspitzengefühl des Spielleiters gefragt, damit der Spieler einen gut spielbaren Charakter erhält, da die Fertigkeiten auch von der Art der Kampagne und dem Setting abhängig sind.
Im nächsten Schritt verteilt man die Ausrüstung. Es gibt keine Ausrüstungsliste, jeder Charakter bekommt das, was er braucht. Sollte er defensive Ausrüstung besitzen, muss bestimmt werden, ob diese schwere, mittlere oder leichte Verteidigung gibt.
Dann füllt man noch die Kampfsektion des Charakterbogens aus, viele Werte sind abgeleitet von den Attributen und der Ausrüstung. Anschließend muss man noch seine Attacken bestimmen. Der Spieler sollte zumindest für jede Art von Waffe eine Attacke wählen. Als Restriktion gilt nur, dass es ins Setting passen muss und dass der Charakter eine passende Fertigkeit haben sollte (ein Charakter ohne Magiekünste kann keine magische Attacke haben).
Es gibt 8 Standardattacken, die sich bei Anzahl der Ziele, Trefferchance und Schaden unterscheiden: Damaging Melee, Balanced Melee, Precise Melee, Reach, Whirlwind, Cone or Spray, Ranged, Ranged Area.
Hier liegt einer der Stärken des Systems: man kann seinen Charakter sehr individuell gestalten, indem man ihm interessante Attacken gibt. Man kann auch seine eigenen Attacken basteln und ist nicht auf die 8 Standardattacken festgelegt. Es gibt z.B. die Möglichkeit, Effekte wie „cannot miss“ einzufügen, so dass bei einer gewürfelten 1 trotzdem kein Fehlschlag erfolgt.
Ein Heiler legt an dieser Stelle auch die Werte seiner Heilungsfertigkeiten fest.
Abschließend legt man noch die Boons fest. Boons sind das Erfahrungspunktesystem des Spiels. Es gibt keine Levels. Wenn man Ausrüstung findet oder der Charakter eine Erfahrung macht, kann der Spielleiter Boons verteilen. Diese gestalten sich regeltechnisch wie Fertigkeiten und geben einen Bonus auf den Würfelwurf. Für die Anzahl der Boons gibt es kein Limit. Ein „hochstufiger“ Charakter wird somit viele Boons besitzen.
Im Appendix 4 gibt es noch optionale Regeln, um Begleiter oder beschwörbare Kreaturen einfließen zu lassen. Ein Hexenmeister oder Waldläufer mit Wolfsbegleiter sind somit auch spielbar.
Die Charaktererschaffung ist einfach, wenn man sich über das Charakterkonzept im Klaren ist. Das Aushandeln der Fertigkeiten und das Festlegen der Attacken kann jedoch seine Zeit dauern und sollte mit dem SL zusammen geschehen. Die regeltechnische Seite ist nicht schwierig zu verstehen und somit auch für Neulinge geeignet.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht
Durch das gesamte Werk ziehen sich rot abgesetzte Textboxen, die dem Spielleiter noch Regelerläuterungen und Vorschläge bieten. Man merkt, dass hier der Erstlings-Spielleiter an die Hand genommen werden soll.
Einige kleinere Regelunklarheiten gibt es leider, so weiß man z.B. nicht, ob man die Vergabe des Fertigkeitsbonus vor oder nach dem Würfelwurf festlegen muss und ob ein „Party-Buff“ auch auf sich selbst gewirkt wird.
Des Weiteren gibt es ein vierseitiges Kapitel zum Kampagnen- und Questdesign. Die Informationen hier sind ebenfalls einsteigerfreundlich. Wichtig ist der Absatz zu den Encountern, wo die Powerlevel erklärt werden.
In Appendix 2 befindet sich ein kleines Monsterhandbuch, welches durch Zeichnungen hervorsticht. Obwohl es sich um ein generisches Regelwerk handelt, ist leider nur die bekannte Fantasykost enthalten. Ich hätte mir auch mal einen Gegner aus dem Sci-Fi-Genre gewünscht, so dass man sieht, wozu das System in der Lage ist.
Es wird zudem noch erklärt, wie man selbst Monster erschafft. Der Prozess ist ähnlich dem eines Charakters nach einem Point-Buy-System. Die Anzahl der zu verteilenden Punkte wird nach dem Powerlevel bestimmt. Spezialfähigkeiten und Attacken der Monster sind ein wenig anders als bei der Spielercharaktererschaffung, aber auch hier muss man die Werte und Attacken zusammenstellen. Es gibt glücklicherweise eine Übersicht über die Spezialfähigkeiten der Monster.
Dieses doch recht granulare System ermöglicht es, abwechslungsreiche Monster zu kreieren. Da es jedoch per Punkteverteilung erfolgt, ergibt sich hier eine gewisse Rechnerei, die die spontane Erschaffung im laufenden Spiel unmöglich macht.
Am Ende des Buches findet der Spielleiter noch ein Abenteuer, das von einem Slapstick-Humor geprägt ist und mit lustigen Beispielcharakteren glänzt. Es bietet eine gute Einführung in die Regeln, ist aber vom Plot her sehr einfach gestrickt und an Anfänger gerichtet.
Spielbarkeit aus Spielersicht
Die Regeln sind einfach und lassen sich nach ein wenig Eingewöhnungszeit gut merken. Man braucht nur den zehnseitigen Würfel, mit dem man alle Handlungen durchführen kann. Die freie Gestaltung der Fertigkeiten und Attacken sehe ich als großes Plus, da man eine große Bandbreite an Charakteren darstellen kann. Wenn ich eine Nische besetzen will, wird mir das gut gelingen.
Während des Kampfes ist aufgrund der Resolve Rolls und der Verteilung der Fertigkeitsboni ein wenig Buchhaltung nötig, was nicht jedem Spieler liegen wird.
Preis-/Leistungsverhältnis
Der Preis von 10 USD ist wahrscheinlich zum großen Teil dem Artwork geschuldet. Ich finde ihn leider doch zu hoch. Vergleichbare Regelwerke in Umfang und System gibt es für weniger Geld, teilweise sogar kostenlos. In der Preiskategorie, in der sich das LWRPG befindet, schneidet es gegenüber den Großen der Branche nicht gut ab.
Fazit
LWRPG ist ein funktionierendes System, dem aber das Besondere fehlt. Die Regeln sind nicht schwierig, aber leichtgewichtig heißt für mich was anderes. Obwohl sich die Autoren das kollaborative Erzählen als Designziel auf die Fahne geschrieben haben, fehlen diesbezügliche Regelmechaniken leider völlig. Die Fertigkeitsmechanik und die „Resolve Rolls“ sind jedoch gut gelöst. Das System punktet mit hervorragenden Charakteroptionen.
Es handelt sich um einen Mix von altmodischen Regeln mit einigen neuen Mechanismen. Wer flotte und kampflastige Spiele mag, die dennoch nicht mit zuviel Crunch überfrachtet sind, könnte hier fündig werden. Der Preis für das PDF ist allerdings überhöht.
Das LWRP kann im Jahre 2013 nicht aus der Masse der Rollenspielwerke hervorstechen.
Bonus/Downloadcontent
Auf der Homepage kann ich die „Pocket Rules“, eine Zusammenfassung der Regeln, und auch einen Blanko-Charakterbogen runterladen. Zudem gibt es die Beispielcharaktere als ausfüllbare PDFs. Diese glänzen durch einen schrägen Humor.
Unsere Bewertung
Erscheinungsbild 4/5 Das Buch ist übersichtlich und die comichaften humoristischen Zeichnungen sehen gut aus.
Spielwelt X/5 keine vorhanden
Regeln 3/5 Die Regelmechanik funktioniert, ist aber nichts Besonderes.
Charaktererschaffung 4/5 Die Charaktererschaffung bietet viele Möglichkeiten.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht 3/5 Monster-on-the-fly sind nicht möglich, ansonsten werden dem Spielleiter keine Steine in den Weg gelegt. Der Spielleiter hat eine traditionelle Rolle. Der frische Spielleiter wird gut an die Hand genommen.
Spielbarkeit aus Spielersicht 3/5 Es bietet zwar ein einfaches Spielgerüst, aber manchmal ist ein wenig Rumrechnerei nötig.
Preis-/Leistungsverhältnis 2/5 Für diesen Preis hätte ich mehr erwartet.
Gesamt 3/5 Das LWRPG erfüllt seine Designziele nicht, ist aber dennoch ein solides Werk. Der Preis ist allerdings zu hoch für 47 Seiten.
|