https://www.teilzeithelden.de/2021/05/25/rezension-tricube-tales-ein-rollenspiel-nicht-nur-fuer-kinder/
Tricube Tales verspricht die Quadratur des Kreises: Ein generisches, aber einfaches System für alle Settings, klar verständlich, robust im Kern und mit Möglichkeit zur Anpassung, um unterschiedliche Besonderheiten von Settings mit Magie, Cyberware, Superkräften und vielem mehr abzubilden – und von Fünfjährigen zu verstehen! Kann das funktionieren?
Auch wenn Richard Woolcock das System ursprünglich für das gemeinsame Spiel mit seinem Sohn geschrieben hat, soll es ausdrücklich ebenso für Erwachsene geeignet sein, und darüber hinaus unterschiedlichste, auf einer Seite beschriebene „Micro-Settings“ abbilden, von denen der Autor schon ein Dutzend veröffentlicht hat.
Als Liebhaber von kleinen Systemen (wie Brave Bunnies) musste ich mir Tricube Tales einfach genauer anschauen. Dabei war die Qual der Wahl zunächst: welche Ausgabe? DriveThruRPG bietet neben den üblichen Hochkant-Formaten auch ein „Phone PDF Format“ an, in dem Tricube Tales und mehr verfügbar sind. Ich habe noch keine Erfahrung mit diesem Format, finde es aber spannend und habe mich dafür entschieden.
Die Spielwelt
Tricube Tales hat als generisches System keine eigene Spielwelt. Die Charakterbeispiele umfassen die Genres Fantasy, Western, Cyberpunk, Superhelden und Science-Fiction. Darüber hinaus gibt es im Anhang Settingregeln für praktisch alle üblichen Rollenspielthemen: von Cyber-Erweiterungen, Magie und Nicht-menschliche Rassen über Furchtregeln bis zu Behandlung von Schlachten und Reittieren.
Die Regeln
Cowboys brauchen Pferde!
Jede Probe basiert auf einem einfachen W6-Poolsystem. Je nachdem, ob die Figur für die aktuelle Aufgabe die passende Eigenschaft hat, würfelt man mit 3W6 gegen eine festgelegte Schwelle von leicht (4) bis schwierig (6). Passt die Eigenschaft nicht zur Aktion, aber zu Konzept oder Besonderheit, bekommt man stattdessen 2W6, passt beides nicht erhält man nur 1W6. Ist der Wurf höher oder gleich der Schwierigkeit, gilt die Probe als geschafft.
Mit „Perks“ (eine Besonderheit wie „stark wie ein Bär“ oder „magisches Schwert“) kann man gegen Ausgabe von Karmapunkten die Schwierigkeit eines Wurfes senken, mit „Quirks“ (eine Marotte wie „Arroganz“ oder Nachteile wie „einarmig“ oder „verflucht“) erhöhen, um dafür Karma zu erhalten.
Lebenspunkte (von SC und NSC) werden mit Resolve-Tokens dargestellt. Wer kein Resolve mehr hat, bekommt eine zur Erzählung passende „Affliction“ oder scheidet aus der Szene aus (NSC).
Kämpfe werden als einfache Proben abgehandelt, die Gegner werden mit „Effort“-Tokens dargestellt. Jeder Erfolg entfernt einen Token. Sind alle Tokens weg, gelten der oder die Gegner als überwunden.
Die SL würfelt nicht, sondern legt ausschließlich Schwierigkeiten für die Proben fest oder – im Falle von Gegnern oder längeren Aufgaben – die Anzahl der zu überwindenden Tokens.
Charaktererschaffung
Ein Beispielcharakter
Ein Charakter besteht aus Namen, Archetyp und jeweils einer Besonderheit (Perk) und einer Marotte (Quirk). Für den Archetyp sucht man sich zuerst ein passendes Wort, welches das Charakterkonzept beschreibt – „Weltraumschmuggler“ wäre so eines. Danach sucht man sich eine von drei vorgegebenen Eigenschaften aus: „agile“ (agil), „brawny“ (stark) und „crafty“ (clever) und ergänzt damit das Konzept. Beides zusammen bildet den Archetyp.
Dazu noch eine Besonderheit – das kann etwas sein, was der SC neben seinem Konzept gut kann, eine magische Fähigkeit oder Berufung oder ein besonderer Gegenstand – und eine Marotte, die einen in manchen Situationen behindern oder ablenken kann.
Beispiel: „Han Duo – cleverer Weltraumschmuggler – unterschätztes Schiff – loses Mundwerk“ ist ein fertiger Charakter, der sich mit 3W6 aus einer Zollkontrolle herauswinden könnte (passende Eigenschaft und Konzept) aber nur noch 2W6 erhält beim Umgang mit einer adeligen Passagierin (passende Eigenschaft aber Standesunterschied) und 1W6, wenn der:die Spieler:in beschließt, dass er sich aufgrund seines losen Mundwerks eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen kann.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht
Tricube Tales macht es für Spielleiter:innen aus regelseitiger Sicht sehr einfach: Wie bei PbtA-Ablegern würfelt man nicht, sondern legt nur die Schwierigkeit für Proben fest und verwaltet bei Kämpfen ein paar Tokens.
Die eigentliche Herausforderung ist die Funktion eines narrativen Schiedsrichters, in welcher man die Auslegung des sehr grobkörnigen Systems in Hinblick auf die Spielwelt steuert.
So ist zwar einerseits sehr klar geregelt, dass man 3 Würfel erhält, wenn der Archetyp (Konzept und Eigenschaft) auf die Aktion passt. Es kann aber sein, dass bestimmte Umstände einen Würfelabzug rechtfertigen. Die Abbildung bestimmter konkreter Spieler:innenideen in das Regelkonstrukt erfordert ein ähnliches Abstraktionsvermögen wie bei Fate-Aspekten, was für klassisch geprägte Spielleiter:innen ungewohnt sein kann.
Das Regelwerk ist einerseits gut gegliedert und man findet sich zwischen den Kapiteln für Charakterbau, Spiel- und Settingregeln schnell zurecht. Die wenigen Detailregeln (wann bekomme ich wie viele Würfel, was kann ich mit Karma machen) sind aber etwas in den Fließtexten an unterschiedlichen Stellen versteckt. Hier wäre eine kurze Übersicht der Regeln am Ende hilfreich.
Spielbarkeit aus Spielersicht
Die Spieler:innen haben die Regeln schnell verstanden und die Charaktere waren auch schnell erstellt. Das Zeitaufwändigste waren die Überlegungen zu unserem eigenen Setting, welches nur in groben Zügen beschrieben war. Der hohe Abstraktionsgrad von Tricube Tales machte es möglich, dass jedes Charakterkonzept problemlos umsetzbar war.
Für ein paar kurze, schnelle Abenteuer in nicht zu ausdifferenzierten Welten konnten sich alle Spieler:innen vorstellen, Tricube Tales zu nutzen. Für längere Kampagnen hat es ihnen aber zu wenig systemseitige Abbildung der Welt zu bieten.
Spielbericht
Da Tricube Tales keine Spielwelt mitbringt, haben wir für die Testrunde auf unsere zuvor gemeinsam erschaffene Welt Steampunk-Welt Aeros zurückgegriffen.
Die drei Spieler:innen haben sich darauf geeinigt, dass sie die Besatzung eines fliegenden Schmugglerschiffs namens „Barracuda“ verkörpern. Sie haben ihre letzten Groschen für das sehr gebrauchte (gerade eben noch flugfähige) Schiff zusammengekratzt und sind darauf aus, durch den in Zusammenarbeit mit den K-Aliens neu geschaffenen „Bermuda-Korridor“ in das „Große Dahinter“ zu fliegen, um von dort mit wertvoller Fracht zurückzukehren.
Die Besatzung besteht aus:
James Cook, einem cleveren (crafty) Mechatroniker (Besonderheit: McGuyver, Marotte: arrogant)
Hugo Nimber, dem agilen (agile) Navigator (schnelle Reflexe, verdammt stur)
Logan McDouggan, einem bulligen (brawny) Koch (kann alles zerlegen, überaus stolz auf seine „Kunst“)
Vor dem Flug muss ein Auftraggeber an Land gezogen werden und so wird eine der nächsten Nadeln (Türme, die über die Wolken ragen mit Anlegestellen für die Flugboote) – die Septa – angeflogen. Beim Anflug wird das Schiff überprüft und Hugo schafft es (Probe), den Lotsen mit der gefälschten Reservierung für die Septa zu überzeugen.Das Schiff legt neben einer schicken Yacht an – hier schafft es James, die Barracuda in einem beeindruckenden Manöver herumzureißen und gekonnt einzuparken (zwei Erfolge) und sichert sich damit die Aufmerksamkeit und Applaus von den beiden soeben aussteigenden Damen, welche die Gruppe aber links liegen lässt: Man will sich schließlich umschauen.
In der Arbeiterbar Porters‘, so heißt es, würde ein gewisser, berüchtigter Jack Sketcher absteigen, Schmuggler und Hehler, der gern andere Leute die Drecksarbeit machen lässt. Die Gruppe schafft es, in der Menge und vor Jacks wichtigem Pokerspiel (zwei SC schaffen Probe gegen 5 gemeinsam) auf sich aufmerksam zu machen und bekommen später tatsächlich einen lukrativen Auftrag: Ein gewisser Herr Montesquieu ist an eine Karte mit der Absturzstelle eines K-Schiffes im Großen Dahinter gekommen. Die SC sollen den Antrieb des Schiffes bergen und ihm bringen. Als die Gruppe sich darauf einlässt, wird ihnen ein Wachroboter zugeteilt, der darauf aufpasst, dass der geborgene Antrieb auch wirklich zurückkommt.
Seitenfüllende Illustrationen trennen die Kapitel
Der Flug durch den Korridor verläuft zunächst ereignislos, bis auf der Hälfte eine Wolke sich nähernder K-Schiff in der Ferne zu sehen sind. Die Gruppe besetzt die Stationen an Bord: Maschinenraum, Tesla-Kanonen und Ruder und macht gibt Dampf auf die Maschinen, um die ankommende Flotte zu durchbrechen. Der Vorgang wurde mit einer Probe von jedem SC abgehandelt gegen 5 Tokens. Durch vier Erfolge blieb ein Token übrig und die Gruppe konnte sich aussuchen, ob das Schiff einen Schaden nimmt oder sie den Schaden auf sich lenken – sie entschieden sich für Letzteres.
Mit gezielten Schüssen bahnt James der Barracuda einen Weg durch die Flotte, aber ein paar Kugelblitz-Schüsse der Gegner gehen durch und drohen, die Kondensatoren zu überlasten! Jeder springt an die Leitungen und reißt die entscheidenden Kabel und Leitungen raus, um eine Überlastung zu verhindern, wird kurz von den Stromstößen nach hinten geschleudert (jeder SC erleidet Schaden und verliert einen Resolve-Token) – aber die Flotte ist durchbrochen und die Barracuda wird gezielt aus dem Korridor gesteuert, ins Große Dahinter…
Erscheinungsbild
Das PDF funktioniert auf dem Smartphone-Bildschirm sehr gut. Die Schriftart ist angenehm und ausreichend groß für den kleineren Bildschirm. Wenige Abschnitte gehen über eine Seite hinaus, meist folgt auf der nächsten Seite gleich eine neue Überschrift. Dadurch entstandene Leerräume wurden mit ansprechenden und thematisch zum jeweiligen Inhalt passenden Illustrationen im Comicstil gefüllt. Der Pergament-Hintergrund macht das Lesen auf hellen Smartphone-Bildschirmen zusätzlich angenehmer.
Bonus/Downloadcontent
Die erwähnten Mikrosettings werden von Zadmar Games ebenfalls über DriveThruRPG angeboten.
Es gibt auch Zusatzregeln für das Solospiel und zum Star Wars-Tag am 5. Mai erschien das kostenlose Mikrosetting Interstellar Laser Knights.
Mir hat diese deutsche Regelübersicht eines Bekannten beim Leiten sehr geholfen.
Fazit
Tricube Tales ist schnell gelesen, schnell verstanden und schnell gespielt. Die knappen Regeln richten sich an sehr konkrete Zielgruppen und Situationen (Spiel mit Kindern, Anfängern, improvisierte Runden auf Cons oder ähnliche), in denen man schnell loslegen und wenig Zeit für Regelerläuterungen aufbringen möchte. Diesen Zweck erfüllt es mit Bravour. Dadurch, dass mit greifbaren und abzählbaren Tokens gearbeitet wird und die Charakterfähigkeit sich nur über ein bis drei Würfel erstreckt, muss nicht gerechnet werden. Es ist daher für jede Person jeden Alters geeignet, die Lust auf das Spiel hat und einen W6 lesen kann.
Die abstrakte Natur der Regeln erlaubt allerdings keinerlei Weltsimulation und die Charaktere unterscheiden sich nur narrativ. Wer hier mehr Abbildung der Regeln braucht, wird eher enttäuscht werden. Alle anderen sollten zumindest einen Blick in die sehr günstige Smartphone-Version werfen – das Leseerlebnis allein ist es meiner Ansicht nach schon wert
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