Destiny Dungeon – Mit 66 Augen, da fängt das würfeln an
Seit einiger Zeit schon ist AceOfDice (AoD) mit seinen Designerblog bei rsp-blogs.de vertreten und hat auch mich als Leser gewonnen. Nach vielen interessanten Einblicken in den Entstehungsprozess hat es nicht lange gedauert, bis ich mir das vor Kurzem erschienene Destiny Dungeon gekauft habe. Die Old School-Variante des AoD-eigenen Destiny-Regelwerks enthält auch die Welt “Istarea“, die ich gleich in zwei kurzen Abenteuern besucht habe.
Erscheinungsbild
Das Buch ist ein 156-seitiges Softcover. Der Einband ist farbig bedruckt, der Innenteil ist der alten Schule entsprechend fast komplett schwarz-weiß, nur wenige Farbbilder weichen ab. Das zweispaltige Layout ist gut leserlich und das Buch ist komplett auf Deutsch. Es ist auch vollständig als PDF auf der AoD-Website (Direktlink) herunterzuladen. Insgesamt ist das Buch gut strukturiert.
Der ungewöhnliche w66, Charaktererschaffung, die „Klassen“, die weiteren Regeln, die Spielwelt und die Szenarien haben eigene Kapitel und jedes Thema ist schnell gefunden. An Ende folgt zusätzlich ein Anhang mit Tabellen für Ausrüstung, Monster, Schätze, Begegnungen, Abenteuer, Reisen und der Destiny-Würfeldungeon, ein erwürfelbares Zufallsverlies. Wem das an Übersichtlichkeit und Zugänglichkeit noch nicht reicht, der findet auch einen Index und dem sei versichert, dass man ob der nicht allzu hohen Seitenzahl auch in jeden Kapitel schnell genau die Info findet, die man sucht.
Die Illustrationen sind gut gewählt und stellen meist passende Szenen dar. Der Zeichner scheint aber für mein Auge mit der Anatomie manchmal etwas auf Kriegsfuß zu stehen, was immer wieder zu Stutzern bei den Bildern führt.
Die Spielwelt
Das Setting Isteria wurde extra für dieses Regelwerk geschrieben und ist schnell verstanden. Auch weil es sich, wie das gesamte Buch, sehr angenehm lesen lässt. Kein ausschweifender oder gar schwafelnder Sprachstil, aber auch keine mathematisch anmutende Kürze.
Isteria ist ein abgeschlossenes Tal mit Menschen, Elfen, Zwergen und den Horden, welche die Monster umfassen. Außerdem gibt es einige wichtige und legendäre Orte. Das wirkt insgesamt nicht nach viel, erleichtert aber ungemein den Überblick. Den Fans der detailreichen vergessenen Welten (Forgotten Realms) oder Aventuriens wird das eine Umstellung abverlangen. Trotzdem hat Isteria seinen eigenen Reichtum, der von konfliktreichen NSC und ihren Fraktionen kommt. Das D&D-typische eindeutige Gute und Böse gibt es nicht. Jeder NSC hat Ansätze in verschiedene Richtungen. Und - was ich sehr bemerkenswert fand - das Setting liefert einen guten Grund, warum sich Elfen und Zwerge nicht leiden können. Zudem entsprechen beide Rassen nur fast dem üblichen Klischee, was der Abwechslung zu Gute kommt.
Die Regeln
Destiny Dungeon hat eine zentrale Mechanik: den w66, welcher aus zwei verschiedenfarbigen w6 besteht. Dieser wird für alle Proben verwendet, was den Einstieg deutlich erleichtert. Er kann auf viele verschiedene Arten interpretiert werden: Zehner- und Einerstelle (in Wurfreihenfolge oder kleinerer oder größerer Würfel vorne), addieren der Würfel, der Wert des kleineren Würfels oder der des größeren. Man braucht zwar einen Moment, bis man diese verschiedenen Lesarten verinnerlicht hat, aber er bietet für jede Anwendung das Richtige. Nur skalieren kann er nicht endlos, denn bei einer 66 ist erst einmal Schluss. Aber bis dahin dauert es einige Stufen.
Sehr interessant finde ich auch, dass die Attribute die Kombination von vier klassischen Attributen (Charisma, Stärke, Geschick und Intelligenz) und vier Anwendungsgebieten (Natur, Gesellschaft, Kampf und Magie) sind. So decken sie auf einfache Art viele Anwendungen ab.
Insgesamt sind die Regeln einfach und man kommt sehr schnell hinein. Das geht allerdings zu Lasten der Tiefe und ein Taktikfuchs wird an den Kämpfen keine Freude haben. Die sind sicher nicht die primäre Zielgruppe von Destiny Dungeon, aber manch ein Kampf war schon arg zäh. Besonders, wenn das Monster über Regeneration verfügt.
Das war auch der einzige Fall, in dem ich in die Regeln eingegriffen habe: Ein Skelett mit Regeneration lieferte nicht nur einen eintönigen Kampf, die Regeneration machte es auch noch unheimlich viel stärker. Darum habe ich diese nach einigen Runden in einen Bonus auf die Treffpunkte umgewandelt. Es lag zwar auch ein TPK in der Luft, aber der primäre Grund dafür war aber die Langeweile im Kampf. Es kann natürlich sein, dass Regeneration so stark sein soll. Dass es ganz Old School-mäßig keine Herausforderungsgrade oder andere Hilfen zum Erkennen der Gegnerstärke gibt, konnte ich das nicht feststellen.
Charaktererschaffung
Die Charaktererschaffung ist relativ einfach und schnell verstanden. Die Attribute werden vergeben, indem man einmal würfelt, diesen Wert auf ein Attribut verteilt, dann erneut würfelt und den zweiten Wert vergibt. Dies wiederholt man für alle 16 Attribute und kann am Ende nur noch einmal zwei Werte vertauschen. So hat man einigermaßen Kontrolle darüber, dass der Charakter den eigenen Vorstellungen entspricht, aber noch relativ viel Zufall. Eine andere Möglichkeit seinen Charakter zu erstellen gibt es nicht. Die Ausrüstung ist zunächst recht sparsam, auch Fähigkeiten und Werte lassen viel Luft nach oben. Ein Hexer und ein Krieger der Stufe 1 haben es bei mir aber zusammen ohne Probleme mit einem Hobgoblin aufgenommen.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht
Als Spielleiter hatte ich bei meinem Einstand keine Probleme. Die meisten Regeln hat man sich schnell gemerkt, nur für manche Kampfregeln mussten wir öfter mal nachschauen, was schnell klappte. Auch das schnell erwürfelte Kurzabenteuer ging flüssig von der Hand und hat Spaß gemacht. Man muss nicht allzu viel im Auge behalten und kann sich auf das Abenteuer und das Ausspielen konzentrieren.
Spielbarkeit aus Spielersicht
Die Spieler sind schnell in das System gekommen und Aktionen konnten meist schnell ohne regelverhaften ausgeführt werden. Allerdings sollte man sich unbedingt auf ein atmosphärisches Spiel konzentrieren. Reines Hack & Slay ist nichts für Destiny Dungeon. Den meisten Anhängern dieses Spielstils sollte auch entgegen kommen, dass Charaktere nicht allzu leicht sterben können, auch wenn dass nicht sehr Old School ist. Man muss einem am Boden liegenden Charakter schon noch einmal Schaden zufügen, damit er stirbt.
Auf der ersten Stufe ist der Charakter mechanisch gesehen noch sehr “von der Stange“, also nur begrenzt anpassbar. Das gibt sich erst mit den späteren Stufen, wenn man aus einer größeren Anzahl Talente wählen kann. Da es aber zehn verschiedene Charaktertypen gibt, besteht nur geringe Gefahr, dass man in einer Gruppe zwei gleiche Charaktere hat. Aber es gibt innerhalb der Typen verschiedene Möglichkeiten den Hintergrund nach seinem Geschmack auszugestalten.
Preis-/Leistungsverhältnis
Das Buch kostet bei Amazon wie schon erwähnt 19€ und man erhält dafür Regeln und eine Spielwelt, kann also sofort loslegen, denn 2w6, die einzigen Würfel, die man braucht, hat so gut wie jeder im Haus. Da muss man dann im Zweifelsfall halt mal das Kniffelspiel plündern.
Spielbericht
Als Basis für diese Rezension haben wir zwei kurze Runden gespielt. Beide waren online und haben gut funktioniert. Bei der ersten haben wir zwei Charaktere in ca. einer halben Stunde erstellt und dann ein Abenteuer gespielt, das ich mit Hilfe der Zufallstabellen neben der Charaktererstellung schnell entworfen habe.
Beim zweiten Mal habe ich eines der fertigen Szenarien genommen. Wobei fertig heißt, dass man eine kleine Sandbox zur Verfügung hat. Die ist aber fertig und gut. Ich habe mir kurz vorher noch einen einfachen Plot überlegt, warum die Charaktere in den beschriebenen Sumpf gehen sollten und was dort zu tun ist. Mittels der mitgelieferten Karte haben wir dieses Szenario dann als Hexcrawl gespielt.
Beide Runden musste ich unter Zeitdruck vorbereiten, das ging aber gut. Bei der Ersten hatte ich nicht einmal den Regelteil des Buches wirklich komplett gelesen, was aber zu keinen Schwierigkeiten im Spiel führte. Auch die Spieler hatten ihren Spaß, doch da sie eher Taktiker sind, war die fehlende Abwechslung im Kampf ein Wermutstropfen.
Fazit
Destiny Dungeon ist ein schnell zu erlernendes Rollenspiel, das trotz seiner Kürze alles hat, was man zum direkten Losspielen braucht. Dass das Buch kein dicker Wälzer ist, hat auch den Vorteil, dass man schnell alles findet, was man nachschlagen muss. Das macht man aber nur anfangs öfter mal. Das Setting enthält viele Angriffspunkte für SL und die Szenarien sind gute Vorlagen für Abenteuer, die man nur noch verwandeln muss.
Die Einfachheit der Regeln führt aber auch manchmal zu eintönigen Kämpfen, zumindest auf niedrigen Stufen. Destiny Dungeon erlaubt mehr Charakterkonzepte als ein klassisches Old School-System, daher bietet es auch für Spieler mehr Abwechslung als man gemeinhin vielleicht erwartet.
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